Dienstag, März 29, 2011

Filmszenen I ..ist er jetzt da? .. in: Mein alter Freund Fritz. Ulrich Tukur - Professor Harry Seidel. Buch und Regie: Dieter Wedel, 2006-07








Bildquelle und Bildrechte: allmedia pictures gmbh für 3SAT.

Karfreitagsinterludium I ..ist er jetzt da? .. in: Mein alter Freund Fritz. Ulrich Tukur - Professor Harry Seidel, Otto Schenk - Patient Herr Knoppig. Buch und Regie: Dieter Wedel, 2006-07

Vor der Szene

Hören statt Lesen: Audio.mp3->

Zeit und das Wahrnehmen des Patienten als Person machen den guten Chirurgen zum sehr guten Arzt. Der äskulapische Eid verpflichtet, den Lebenserhalt des Patienten zu versuchen, seine Gesundung zu fördern.

Selbstheilungskräfte können durch Vertrauen aktiviert werden.

Manchmal jedoch kann der Arzt den Patienten nur noch zum Lebensende begleiten. Wenn die Krankheit alle verfügbaren Mittel moderner Medizin unzureichend werden läßt.

Wie bei Herrn Knoppig, einem Mittsiebziger (der große Otto Schenk, heute 81, in seiner bis heute letzten Fernsehrolle), der noch auf zehn, fünfzehn Jahre Austrag gehofft hatte.

Seine Krankheit wird das nicht erlauben. Keinen weiteren Winter mehr, das Ende des Herbstes wird auch sein Abschied.

Professor Harry Seidel, früher eher feige in solchen Dingen, hat dieses Mal den Mut, den Patienten zu begleiten.

Die Szene

Ein Krankenhauszimmer. Intensivstation. Close up. Wir sind dicht am Bett.

Der alte Herr sitzt nicht mehr, wie in den Tagen vorher, er liegt, eine Sonde führt Flüssignahrung über die Nase zu, eine Sauerstoffgabe ist ebenfalls an der Nase angelegt. Er wirkt sichtbar geschwächt. Im Hintergrund sehen wir den Bildschirm des EKG und hören die Quittungstöne des Pulses.

Professor Seidel hat sich dicht über ihn gebeugt. Der alte Herr scheint so schwach, dass er nur flüstert. Vielleicht flüstert er auch aus Angst. Er fragt Seidel:

Ist er jetzt da?

Seidel hat den alten Herrn genau verstanden. Die Frage galt der Gestalt, die nicht nur die Wiener als Schnitter Tod bezeichnen. Seidel zögert kaum, sein

Ja.

kommt schnell und unmissverständlich. Er selbst scheint keine Angst zu haben, unterläßt jeden Versuch, auszuweichen, er wirkt wach und freundlich. Der alte Herr, suchend, mit geschlossenen Augen:

Im Flur, draussen?

….oder schon hier drinnen?

Seidel wartet nur einen winzigen Moment, bevor er sagt:

Hier drinnen.

Noch immer wirkt er freundlich und zugewandt.

Der alte Herr nickt. Eine klare Auskunft. Er kann sich auf den Weg machen.

Seidel zieht sich vom Bett zurück.

Schnitt. Später.

Halbnah.

Die Krankenschwester, in ihrer Leibesfülle und der dicken schwarzen Lockenpracht auf ihrem Kopf ein Versprechen blühenden Lebens neben der unsichtbaren Gestalt, die am Bett wartet.

Die Schwester sitzt jenseits von uns am Bett, hält die Hand des alten Herrn. Sie lächelt, sobald sie fühlt, der Mann sieht sie an. Auf einmal greift er nach ihren Fingern, als wolle er mit ihr gleichzeitig das Leben festhalten, er kämpft hart mit dem Atemholen. Wir hören das typische Geräusch von Wasser in der Lunge. Das Herz will nicht mehr.

Die Krankenschwester

Wir haben ja nicht nur dieses Leben. Wir haben mehrere.

Schnitt auf den Patienten.

Er ringt um Luft, blickt die Schwester an. Seine Hand scheint fortgesetzt nach etwas greifen zu wollen, die Finger öffnen und schließen sich. Die Schwester streichelt seine Wange. Dann:

Der Tod ist nur ein Übergang.

Sie lächelt ihn an.

Schnitt. Auf dem Gang vor dem Krankenzimmer.

Auf einer Bank sitzen der Sohn und die Schwiegertochter.

Der Professor steht ihnen gegenüber.

Der Sohn:

Tun Sie was, irgendwas.

Die Schwiegertochter:

Der derf no net sterba, bitte!

Seidel

Manchmal kann Liebe…

Seidel nimmt sich die Zeit, sich neben die Beiden auf die Bank zu setzen.

….schon eine sehr sehr egoistische Sache sein.

..Sie…

Er denkt einen Moment nach

... es geht um gelebte Tage. Nicht um Tage, an denen man lebt.

Die Blicke der Beiden zeigen uns Schmerz, Sorge und – Verständnislosigkeit. Was redet der Professor da? Ist es nicht sein Job, ihnen den Schmerz und die Schwierigkeiten vom Halse zu halten, die mit dem Tod des Vaters einhergingen?

Schnitt. Im Krankenzimmer. Die Kinder, das Ehepaar, beide Mittdreissiger, am Bett. Wir blicken von oben auf die Szene. Die Schwiegertochter steht am Fussende, der Professor an der Bettseite. Der Sohn, noch im Mantel, hat sich dicht neben seinen Vater gesetzt, streichelt dessen Stirn seine Hand liegt auf der seines Vaters. Es ist klar, dass die letzten Minuten angebrochen sind. Jeder Atemzug des Sterbenden ist ein Kampf.

Schnitt auf Seidel. Er sieht besorgt, aber ruhig, zu.

Sohn und Vater nah. Der Sohn hat sich dicht zu seinem Vater gebeugt.

Er ist innerlich ganz bei ihm.

Die letzten schweren Atemzüge des alten Mannes.

Insert auf das EKG. Der Alarm beginnt anzuschlagen, der Puls sinkt auf dreissig.

Schnitt auf Vater und Sohn. Der Kampf um Luft hört auf, das Gesicht des alten Mannes zeigt keine Bewegung mehr, die Zeit steht für ihn still. Er ist tot.

Wieder das Zimmer. Wieder blicken wir von oben auf das Bett. Der Mann, der Sohn, die Tochter, der Arzt. Der Sohn blickt Seidel fragend an. Der Alarm läuft weiter, Rotes Blinklicht und ein repetierender Klangton.

Insert auf das EKG. Flatline.

Seidels Arm durchkreuzt den Blick auf den Schirm. Er schaltet aus.

Der Alarm ist endlich still.

Schnitt auf Vater und Sohn. Die Augen des Verstorbenen sind offen geblieben, der Mund ebenfalls, die Zunge noch sichtbar, wie er sie im Ringen um Luft an die Lippe gehoben hatte.

Der Sohn hält noch immer seine Hand auf der Stirn des Toten, birgt sein Gesicht im Arm.

Er hatte den Mut, bis zur Schwelle mitzugehen.

Schnitt Draussen.

Im Gang. Die Frau weint, der Mann sitzt, das Gesicht auf die Hände gestützt, vorwärts gebeugt da. Eine Schwester bringt Kaffee. Er nimmt sich einen Becher. Die Frau auch. Das angebotene Brot lehnt sie ab.

Zwei Pfleger fahren eine Bahre aus dem Krankenzimmer, der Leichnam ist mit einem Tuch zugedeckt.

Der Sohn steht auf, blickt der Bahre nach. Seine Frau scheint ihn stützen zu wollen, sie legt eine Hand auf seinen Rücken, er macht einen Schritt, als wolle er der Bahre nachgehen. Bleibt aber dann doch stehen.

Schnitt

Im Krankenzimmer

Seidel allein neben dem leeren Bett.

Er sitzt da und sieht ins Dunkle. Keine Bewegung. Nichts geschieht. Sein alter Freund Fritz erscheint nicht mehr, um ihm ins Gewissen zu reden. Es ist nicht mehr nötig.

2006 – 2007 Ulrich Tukur (im Alter von 49) – Professor Dr. Harry Seidel, Otto Schenk (im Alter von 76) – Patient Herr Knoppig, Sabine Orleáns - die Krankenschwester.

- - - i.M. Brigitta Günther, geb. Aschenauer. 10.7.1943 - 31.10.2010

Labels: ,