"...guten Morgen!" in: Der Anwalt und sein Gast ( Heino Ferch - Christian Weller). Regie: Thorsten C. Fischer. Buch: Jörg von Schleebrügge 2002 - 2003
Text: ignazwrobel
Arkadien.
„...guten Morgen!...“
Früher Morgen, Sonne, gutes Winterwetter. Waldstück. Kaum Schnee.
Ein joggender Mann läuft quer durchs Bild. Die Kamera folgt ihm auf dem Fuße, wir sehen den zügigen Takt seiner Schritte.
Unser Blick streift aus nächster Nähe über seine Schultern, Teile seines Gesichts. Wir sehen die dunklen Sonnengläser, seine adlerhaft prägnante Nase, den zum schnellen Atmen geöffneten Mund.
Der Mann trägt einen Jogginganzug aus rotem Stoff, der wie Satin glänzt. Gegen die Kälte hat er die schwarze Kapuze seines Sweatshirts über den Kopf gezogen.
Das ganze Outfit - rockymäßig im Stil eines Boxer-Trainingsanzugs. Wir hören die regelmäßigen tiefen Atemzüge eines trainierten und gut eingelaufenen Sportlers. Jetzt sehen wir den Mann von hinten, Schultern und Kopf, verfolgen noch einige seiner Schritte. Er ist vorbei.
Totale.
Eine Wohnstraße in einem noblen Villen- Stadtviertel.
Alter Baumbestand, hohe Laubbaumallee, freistehende Häuser, ab und an ein geparktes Fahrzeug, offensichtlich sehr ruhige Nebenstraße, ein wenig Schnee liegt um die Bäume.
Unser Jogger im roten Boxersuit kommt die Straße entlang, rennt auf ein kinnhohes weißes Gittertor zu, springt, ohne den Rhythmus seines Laufens zu verändern, leicht und geübt auf das Tor in den Stütz und jenseits glatt und zügig wieder hinunter, läuft im skulpturengeschmückten Garten aus, die Gartenmauer entlang zum Eingang der Villa.
Seine behandschuhte Rechte greift nach der Wasserflasche, die am Treppenabsatz der Terrasse für ihn bereit steht.
Subjektive Kamera, wir sehen durch seine Augen in die umstehenden Baumwipfel, in die Sonne. Very Close Up auf das Gesicht des Mannes, er trinkt noch ein paar Schlucke, atmet sich ruhig.
Schnitt.
Drinnen.
Close up auf einen Spielzeugsaurier. Dann kommt ein Kinderauge dazu, riesengroß, gefletschte Kinderzähne imitieren die gefletschten Saurierzähne.
Schnitt.
Der Mann im roten Jogginganzug öffnet die Badezimmertür. Zeitlich-räumliche Überblendung von aussen nach innen, er schließt - jetzt schon nackt – die Duschkabinentür von innen, dreht das Wasser an. Sein kontrollierter Aufschrei zeigt uns, daß er bewußt nur den Kaltwasserhahn geöffnet hat – kein Warmduscher.
Schnitt. Very Close Up.
Das Gesicht einer schönen Frau, schwarze Haare, ebenmäßige, intelligente Züge, ebenfalls prägnante Nase, weißes T-Shirt, randlose Brille. Sie wirkt sorglos, bereitet offensichtlich das Frühstück zu und knabbert nebenbei Nüsse. Im Hintergrund: Frühstücksradiomusik.
Nein – es sind doch keine Nüsse – sie trinkt ein Glas Wasser. Wir sehen ihre Hand, wie sie eine blauweiße Tablettendose wegräumt.
Schnitt.
Der circa siebenjährige Knabe kommt herbei, die Hände vor dem Gesicht.
Die Frau: was is?
Der Junge: ich hab´eine Grimasse gemacht
Ja und?
Nu geht sie nich mehr weg!
Er nimmt die Hände vom Gesicht:
Grrrr!!!! die gefletschte Saurierzähnegrimasse!
Die Frau zähnefletscht jetzt auch. Mama und Sohn fletschen um die Wette, grrrrrren sich verspielt an.
Schnitt. Ein Rücken im blauen Oberhemd verdeckt uns die Sicht.
Na ihr beiden? Ops!
sagt eine angenehme, entspannte Männerstimme.
Die zum Rücken gehörende Hand streichelt im Vorbeigehen den Kopf des Jungen. Dabei bemerken wir einen edlen goldenen Manschettenknopf am Ärmel der ausgestreckten Hand.
Geh frühstücken!
sagt die Mutter zu ihrem Jungen.
Schnitt.
Very Close Up.
Die Gesichter von Mann und Frau im Profil, beide nebeneinander, beide hantieren irgend etwas frühstückmäßiges im Stehen.
Sanfte Atmosphäre guter Laune, wir spüren das Zugetansein der Beiden zueinander, von seiner Seite mit einer Prise purrend surrender Lust auf seine Frau. Die Szene zeigt uns: alles o.k.
Seine Frau blickt nach unten.
Der Mann sieht die Gelegenheit.
Die schöne Kurve ihres gebogenen Nackens liegt frei direkt vor seinem Gesicht.
Er macht planvoll einen Schritt hinter sie und kitzelt sie an der empfindlichen Stelle über der Wirbelsäule, am Übergang vom Hals zum Nacken mit seinen Lippen, indem er ihr mit locker geöffnetem Mund einen Kuss aufhaucht.
Mhh - lecker ! uns stellen sich bei diesem Anblick die Nackenhaare auf.
Auch ihr gefällt´s.
Guten Morgen! sagt er.
Sie lächelt, erwidert seinen Gruss.
Guten Morgen!
Zwei Köpfe, zwei Schultern hintereinander dicht an dicht auf Körperkontakt.
Selbstverständliche Intimität - Gleichklang - Wir spüren die Wohligkeit des voneinander Angezogen-Seins der Beiden.
Kleines leises Intim-Blabla:
Er : Weißt Du, was ich vorher gedacht habe?
„.............“
So. so. sagt sie.
Sie dreht sich zu ihm und tupft ihm mit einer Na, du? Geste einen Klecks Kirschmarmelade auf die Nase. Er merkt es nicht, obwohl sie anschließend ihren Finger ableckt. (ja, ableckt! So ist das eben beim Frühstück.)
Was wir sehen, ist seine deutliche erotische Freude an seiner Frau. Die Luft prickelt wie Champagner unter seinem intensiven Blick und seinem gutem männlichen Selbstgefühl. Man geht in´s Eßzimmer.
Der Sohn sitzt am Tisch und isst. Die Erotik wird vorerst einmal vor dem Kind abgeschaltet.
Schnitt.
Der Mann hat jetzt auch am Frühstückstisch Platz genommen und greift nach der Tageszeitung. Ein gespielt drohender Blick zu seinem Sohn ist eigentlich liebevoll und erwidert dessen immer noch zahnefletschende Saurier-Grimasse. Auch das Vater – Sohn Verhältnis scheint bestens o.k.
Close up auf die Zeitung. Die Märkische Allgemeine. Zeitung für Brandenburg.
Hintergrundsmusik easy listenig , smooth, gute Laune .
Der Mann blättert die erste Lage ab.
Auf dem Titel der zweiten Lage blickt ihm sein eigenes Gesicht viertelseitengroß entgegen.
Uberschrift des dreiviertelseitigen Artikels: „Das Gewissen des Gerichtssaals“ Sub: Der Rechtsanwalt für sozial Benachteiligte.
Da sitzt der Anwalt der Entrechteten und Mittellosen, das mahnende Gewissen des Gerichtssaals - die Zeitung porträtiert ihn hochwichtig im schwarzen Anzug mit Krawatte.
... und doch ist er nur der Papa mit der roten Marmeladen-Nase!
Ende der Szene.
2002 – 2003 Heino Ferch- Rechtsanwalt Christian Weller, Claudia Michelsen – Frau Katja Weller, Fabio Beyer - der gemeinsame Sohn Daniel.
Kommentar 1:
Wozu wird dieses Idyll geschildert? Es ist der Zustand vor der Vertreibung aus dem Paradies, die in diesem Film in aller Gründlichkeit stattfinden wird. Nachdem wir dieses Arkadien gesehen haben, begreifen wir die blutige Fallhöhe unseres Helden Christian Weller (Heino Ferch) ins Unglück umso plastischer. - wie im antiken Drama.
Kommentar 2:
Zur Kameraführung:
Der Film verfolgt eine aussergewöhnliche, psychologisch geradezu investigierende Kameraführung: der gesamte Film besteht zu ca. 98,5 % aus very close ups von Gesichtern. Die Schnitttechnik ist sehr schnell, in unsere Beschreibung fließt die Bemerkung „Schnitt“ nur dann ein, wenn auf andere Weise der Zusammenhang unklar bliebe.
Auszeichnungen für den Film:
Deutscher Fernsehpreis 2003 für
beste Kamera: Theo Bierkens;
beste Regie: Thorsten C. Fischer;
beste Musik: Dieter Schleip (auch verantw. Für Musik in: 'Wer Kollegen hat braucht keine Feinde 1995, 2 Männer 2 Frauen 1998).
Nominiert Deutscher Fernsehpreis für
beste Nebenrolle: Julia Jäger als Staatsanwältin
Julia Jäger (war in „Todfeinde“ 1998 (Regie: Hirschbiegel) Max Klausmanns (Heino Ferch) Ehefrau Anna und in „Das Konto 2004 (Regie: Imboden 2006 auch Regie für: „Für immer und ewig und ein Tag 2005 - 2006“) die Ehefrau Charlotte von Dr. Michael Mühlhausen (Heino Ferch) )
Nominiert Dt. Fernsehpreis für
besten Schnitt: Benjamin Hembus.
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