Sonntag, September 11, 2005

"Der Hochzeitsblick" aus: Comedian Harmonists, Regie Josef Vilsmeier, Drehbuch: Klaus Richter, perathon 1997









"Der Hochzeitsblick" aus: Comedian Harmonists, Regie Josef Vilsmeier, Drehbuch: Klaus Richter, perathon 1997


Text: ignazwrobel

(11. September 2005, Besucherzählerstand: 6537 .

Der unten folgende Text war der Anfang von "Filmszenen".

Der Text hat, wie ihr sicher gleich bemerkt, hier noch nicht seine spätere erzählerische Form gefunden, es sind Beobachtungen, gemischt mit Kommentaren.

Ausschlaggebend für "Filmszenen" war die Beobachtung, bei Heino Ferch eine neue, bisher nicht dagewesene Art mimischer Darstellung zu erleben, die einzigartig und für mich als Zuseher emotional unausweichbar packend ist.

Es entstand der Wunsch, die Antwort auf die generische Bemerkung "Super Schauspieler, Ausnahmetalent" zu finden, mit konkretem Inhalt zu füllen: durch genaues Hinsehen und Hinfühlen - durch Szenenbeschreibungen. Was ist die Ausnahmeleistung? Wie funktioniert sie?

Der Blick: Seele und Verstand, Herz und Hirn konzentrieren ihre Bewegungen, ihre Inhalte, im Blick der Figur.

Der Blick ist in einmaliger, neuartiger Weise eingesetztes Transportmedium für einen Reichtum an Gefühlen und Gedanken, der neben dem Text eigene Storylines eröffnet, manchmal sogar Storylines, die den Text konterkarieren. Er ist Magier des Very Close Up im Film.

(Ich kenne keinen Darsteller, der die Ringmuskulatur um seine Augen so differenziert bewegen kann wie Ferch und hiermit eine Fülle von Ausdrucksnuancen erzeugen kann.)

Dazu kommt die Stimme. Die Stimmführung bewirkt etwas ähnliches wie der Blick. Tempo, Druck, Lautstärke, und vor allem die Sprachmelodie ist ein Pfeil, der immer wieder überraschend ins Herz trifft, bei einem einzigen Wort Tränen auslösen kann. Faszinierend.

Differenzierung: Emotionale Abläufe sind nicht nur mainstreammäßig dargestellt, sondern mit einer rasch wechselnden Fülle von Konnotationen und Nuancen, die sich schnell und dicht zu einer Geschichte addieren plus eine darüber gespannte Gesamtaussage kommunizieren. Nuancen, die die Erinnerung des Zuschauers an erlebte Gefühle so stark in die Gegenwart zerren, dass er einer physischen Reaktion nicht entkommen kann.

Identifikation: Heino Ferchs Figuren bieten sich einem deutschen Rezipienten hundertprozentig zur Identifikation an.

Ferchs Figuren sehen aus wie wir, sind so schön oder häßlich wie wir, sie sprechen wie wir, sie bewegen sich wie wir, sie fühlen wie wir, sie haben denselben kulturellen Hintergrund, dieselben sozialen Probleme, sind nicht wie Amerikaner, nicht fremd, nicht anders.

Die bewegen sich in unserer deutschen und europäischen Heimat, in München, in Hamburg, in Franken, Salzburg, Reinsbüttel oder Paris. Da war ich auch schon, das erkenne ich sofort wieder, hier bin ich auch zu Hause.
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Beschreibungen, auch sorgfältigst beobachtende, bleiben immer hilfloses Gestammel.

Film-Schauspielerische Darstellung ist eine darstellende Äußerung, die eben nur durch sich selbst funktioniert, jede "Übersetzung" in eine andere Darstellungsform, wie die Erzählung, die Beschreibung kann nur knappste stenografische Skizze bleiben.



Szene aus "Comedian Harmonists" Regie: Josef Vilsmaier, 1997 perathon.

Film-Standfotos von Petro Domenigg

Roman Cycowski und seine Verlobte, Mary, haben sich nach jüdischer Sitte auf den Friedhof mit dem Rabbi zusammen ans Grab der Eltern begeben, unmittelbar, bevor die Hochzeitszeremonie in der Kirche stattfindet.

Roman stellt im fiktiven Gespräch mit seinen verstorbenen Eltern seine Auserwählte, Mary, die zum jüdischen Glauben konvertiert ist, vor und teilt ihnen mit, dass er sie heiraten wird.

Mary spricht die Eltern ebenfalls an, sagt, dass sie Roman, ihrer beider Sohn, heiraten wird.
Nach jüdischem Brauch schließen nun beide, Frau und Mann, die Augen. Sie wünschen sich füreinander und für ihre gemeinsame Zukunft, etwas Gutes.

Schweigend denken sie ein paar Sekundenbruchteile lang einen hoffnungsfrohen Gedanken für den Anderen und für die gemeinsame Zukunft. Dann öffnen sie langsam die Augen, um einander anzusehen.


Der Blick

Wir stehen im close up einen halben Schritt entfernt vor Roman Cycowski und erleben aus nächster Nähe, wie er die Augen öffnet, sein Blick das Bild seiner Frau, die er gleich heiraten wird, aufnimmt und umschließt.

Die Lider heben sich langsam. Die sich öffnenden Augen geben uns, wie ein sich hebender Theatervorhang, den Blick auf eine große berauschend attraktive Welt von schönen, freundlichen und magisch anziehenden Gefühlen frei, die ausschließlich in Romans Blick, in den Glanzlichtern seiner Pupillen transportiert werden.

Es wirkt, als hätte sich eine Woge von innen nach aussen an den geschlossenen Lidern aufgestaut, die sich jetzt nach aussen verströmt durch die Fenster einer Seele, eines Herzens.

Wir stehen in diesem Strom, erleben ein Potpourri farbig schimmernder Einzelblüten von Gefühlen und Gedanken des Zugetan-Seins.

Dieser Blick in dem freundlichen Gesicht sagt gleichzeitig: Ich stehe zu Dir, ich bin glücklich, Dich bei mir zu haben, ich bin loyal, Du bist mein Augenstern, ich wünsche Dir das Beste, ich freue mich ganz tief innen und noch einmal: ich bin zutiefst loyal. Verlaß Dich auf mich, keine Angst mehr, Du bist zu Hause angekommen.

Man hatte den Eindruck. daß in diesem Kopf und in diesem Herzen dicht an dicht wache Gedanken und Gefühle ablaufen, die sich durch die Glanzlichter in den dunkel erscheinenden Augen nach draussen bewegen, in die sichtbare Welt.

Dieser Hochzeitsblick träufelt Balsam in lange entzündete Wunden, beruhigt den Schmerz des Getrennt- des Vereinzeltseins, erlebter Herzenskälte, an der jeder schon gelitten hat.


Kommentar:

Was sagt der Schaupieler dazu?

Er sagte an anderer Stelle: „Klaus Maria Brandauer hat einmal gesagt, er möchte soweit kommen, dass er Hamlet , wenn er ihn spielt , gar nicht mehr sprechen, sondern nur noch denken muss - und das Publikum trotzdem mitbekommt, was für eine Geschichte erzählt wird.“
Genau das zeigt dieser Blick.

Das neue, andere ist m.E. die Darstellung eines maximalen Masses innerer Handlung, bei äusserster Reduktion der Actionhandlung, umgesetzt in einer mimischen Unmissverständlichkeit und Intensität, die, wie ich glaube, neu ist.

Vorbei an intellektuellen Abwehrmechanismen durchbricht sie blitzlichtartig die Schranken zu unserer emotionalen Innenwelt und löst unmittelbar einen Ping aus. Wäre diese Intensität nur ein Yota übertrieben, wäre sie unglaubwürdig. Sie hält exakt das Mass des Wahrscheinlichen und wirkt deshalb wahrhaftig und ins Herz treffend.

Diese Art der Darstellung ist - kann das sein? - bis heute ohne Vergleich in der Filmschauspielkunst der aktuellen Jahrhundertwende.

Es ist eine neue Art von Mitteilung, von körpersprachlicher Mitteilung, die ich vorher noch nie gesehen habe und die die Möglichkeit des Films, feinste mimische Bewegungen durch close ups makroskopisch zu zeigen, genial nutzt.



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Ferchs Figuren lachen nie ein breites Dauerlächeln. Ihr Lächeln flammt auf wie eine Piezo-Zündflamme und geht dann augenblicklich über in ein strahlendes Glühen über, das ihre ganze Erscheinung erfasst und durch alle Poren zu glühen scheint.

Mary- Katja Riemann http://katjariemann.de/, Roman - Heino Ferch