Sonntag, September 11, 2005

„Scheiß drauf…“ Paula und Anton Glauberg (Heino Ferch ) in: Mord am Meer, Regie: Matti Geschonneck 2004-05










Bildquelle und alle Bildrechte bei Network Movie Köln für ZDF Zweites Deutsches Fernsehen


„Scheiß drauf…“

Text: ignazwrobel



Nacht. Berlin. Vor der Kneipe.


Wir stehen auf dem Gehsteig, in ca. zehn Meter Entfernung von der Eingangsfront der Kneipe und sehen durch die Scheiben Glauberg, wie er drinnen zur Tür geht. Er öffnet die Tür, betritt die Straße.

Die Kamera fährt rückwärts. Links, direkt bei uns, kommt Paula ins Bild. Sie ist an ein Wandstück gelehnt und kehrt der Kneipe den Rücken.

Glauberg kommt näher, die Hände in den Hosentaschen, den Jackettkragen wieder hochgeschlagen.

Paula ist frustriert, wir bemerken soeben, dass sie geweint hat, sie schnieft noch ein bißchen. Als sie fühlt, dass Glauberg direkt hinter ihr ist, sagt sie:

Ich geb´den Fall ab, ich laß mich nicht verarschen.

Glauberg: Ich würd´mir das noch mal überlegen.

Scharfes Laternenlicht steil von oben verschattet die Gesichter der Beiden, die Augenhöhlen sind dunkel. Paula sieht désoleé aus, ihr Haar ist wirr, das Gesicht hat seine puppenhaft hübsche Spannkraft ganz und gar verloren, die Gesichtsmuskulatur ist erschlafft, tiefe Schatten ziehen über ihre Wangen.

Wir treten näher, sehen beider Kopf und Oberkörper. Glauberg bleibt aufmerksam, angespannt, neben ihr stehen, zugewandt.

Er wagt unter Ausnutzung von Paulas Betrunkensein einen frechen Vorstoß in seinem eigenen Interesse als Ermittler.

Können Sie mir die Nummer von Jäger geben?

Ha. sagt Paula Sie bringen mich da echt in eine blöde Situation.

Die getrunkenen Schnäpse bewirken eine Wurstigkeit, die sie wahrscheinlich in nüchternem Zustand kontrolliert hätte.

Scheiß drauf…

Sie dreht sich zu Glauberg hin. Seine Rechte fährt schnell zur Brusttasche seiner Jacke, zückt einen dort wohl immer wohlverwahrten Filzstift, den er ihr gibt.

Dann greift er mit der Linken in die innere Brusttasche der Jacke, um nach einem Stück Papier zu suchen, auf das Paula die Nummer notieren könnte.

Sein Blick schweift dabei einen Moment ab, wie man es tut, wenn man nach etwas sucht, das man nicht sieht. Er tastet, findet nichts.

Da packt die zarte Paula sein Handgelenk und zieht die Hand aus dem Revers.

Sie will -ganz pragmatisch- seine Hand als Notizpapier benutzen.

Wir sehen Glaubergs Überraschung. Er hatte Paulas Absicht nicht bemerkt.
Die unvermittelte Berührung löst ein Echo aus.

Eine Spur zart staunenden Genusses begleitet die Bewegung seiner sich öffnenden Hand, während er sie, geführt von Paulas Griff, in einem langsamen Viertelkreis bis hinab zu Paulas Taille absenkt,- die Handfläche nach oben, damit sie hineinschreiben kann.

Die Hand des Mannes -eben noch eine Faust - öffnet sich wie eine Blüte. Das unisono seiner körperlichen und seelischen Öffnung löst ein angenehmes Kitzeln in unserer Magengrube aus.

Paula senkt den Kopf und kritzelt die Nummer quer über seine Handinnenfläche. Ihr Haar ist direkt vor Glaubergs Gesicht.

Während Paula schreibt, fühlen wir sein leise horchendes Zu-Ihr-Hinspüren, ein zartes Timbre erotischer Sehnsucht.

Es ist, als würde ihn nur seine Traurigkeit davon abhalten, etwas zu tun, zu reagieren, sie an sich zu ziehen. Er bleibt völlig ruhig stehen.

Insert auf die Hände.

Paulas zierliche Hände, wie sie Glaubergs Männerhand festhalten und hineinschreiben.

Als sie fertig ist, ihm den Stift in die Hand drückt und seinen Fingern etwas nachhilft, damit sie sich um den Stift schließen, wirken seine Finger für eine Millisekunde so, als wollten sie nicht nur den Stift, sondern auch Paula festhalten.


Paula, die Betrunkene, hat von Glaubergs Stimmung nichts bemerkt, sie blickt auf, Glauberg direkt ins Gesicht erkennt nicht, dass er von ihr angezogen ist.

Sie dreht sich weg und geht, die Hände in die Gesäßtaschen ihrer Jeans versenkt.

Glauberg lässt sie ein Paar Schritte gehen, dann sagt er:


Gehen Sie mit mir in die Oper?

Sie dreht sich um, lächelt, nickt.

Ja.

Ende der Szene.

2004 - Anton Glauberg: Heino Ferch, Paula Reinhardt: Nadja Uhl

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Kommentar:

Glauberg ist kühl und logisch ermittelnder Kommissar, bedrückter, ausgegrenzter Mensch und erotisch nicht abgestumpfter Mann. Alle drei Eigenschaften, Rollen, kollidieren miteinander in der gesetzten Situation - in moralisch nicht einwandfrei lösbaren Zielkonflikten.