"..ich warte nicht, bis der Alte Mann mich erschlägt..." Teil 1 Heino Ferch als Franz Wolbert in: Das Wunder von Lengede, Regie: Kaspar Heidelbach, 2
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"..ich warte nicht, bis der Alte Mann mich erschlägt..." Teil 1
Text: ignazwrobel
Vor der Szene:
Am vierundzwanzigsten Oktober 1963 ereignet sich im Kohle-Bergbauort Lengede in der Nähe von Braunschweig ein Gruben-Unglück.
500.000 Liter Schlammwasser aus einem Klärteich an der Oberfläche brechen in 60 Meter Tiefe in die Stollen ein.
Dort unten ist jetzt, bis auf wenige Luftblasen, alles unter Wasser. Es kann kein Rettungsteam über die Stollen zu den verschütteten Bergleuten vordringen.
Die einzige Rettungsmöglichkeit wäre eine separate Bohrung, 60 Meter tief und mit 62 cm lichter Weite, um verschüttete Männer in einer sogenannten „Dahlbusch-Bombe“, einem Miniaufzug, einzeln heraufzuholen.
Jetzt ist bereits der erste November, seit acht Tagen und Nächten sitzen die Männer da unten in völliger Ungewissheit, ob sie gerettet werden können. Sie wissen nicht einmal, ob noch nach ihnen gesucht wird.
Bei den Kumpels stellen sich erste Halluzinationen ein. Es ist eiskalt und fast völlig dunkel. Nur einige Helmlampen funktionieren noch, werden ab und zu angeschaltet. Die Männer haben seit acht Tagen nichts gegessen - entsprechend ist ihr Hunger. Sie beginnen, sich an besonders gute Mahlzeiten, ihre Lieblingsgerichte, zu erinnern.
Salvatore, ein italienischer Kumpel, sitzt in der Nähe des Sprengmeisters Franz Wolbert und dessen Freund Bruno Reger. Salvatore ist still, sagt eigentlich nie etwas, wer ihn jedoch genauer beobachtet, sieht, dass Salvatores Lippen sich manchmal bewegen:
er betet, leise und ausdauernd.
Jetzt laufen Tränen über seine Wangen, seine schönen schwarzen Augen sind starr aufgerissen, die langen gebogenen Wimpern tränenverklebt. Plötzlich beginnt er zu reden. Er beschreibt auf italienisch ein ordentliches Essen mit Spaghetti und Rotwein, wird unterbrochen.
Aufhören, da wird einem ja kotzübel vor Hunger.
Zwei Kumpels prügeln sich um ein Stückchen Schokoloade, Franz schlichtet.
Die Männer sind völlig verdreckt, die Kleider durchnässt und befleckt, die Gesichter beschmiert mit Kohlestaub, die Haare nass und fettig, der Bartwuchs läßt die Gesichter noch schmutziger und desolater aussehen.
Oben über Tage wird fieberhaft nach einer Lösung gesucht, man vermutet die elf Männer im toten Stollenende, dem „Alten Mann“, wo sie sich tatsächlich befinden - und überlegt, wie man diese Vermutung durch eine Bohrung verifizieren könnte.
Ein weiterer Tag ist vergangen.
Unten herrscht jetzt drückende Bewegungslosigkeit, die Männer sitzen, schlafen, oder starren ins Nichts.
Wir sehen Bruno Reger und Franz Wolbert.
Franz, der bis jetzt vorbildlich pragmatisch und gefasst war, hat einen Tiefpunkt.
Seine Nerven schleifen am Boden. Er sitzt mit angezogenen Armen und Beinen neben Bruno, nagt nervös an seiner Hand, presst den Daumen gegen die Zähne.
Er ist in einem völlig reduzierten Zustand verkrampfter Verzweiflung. Er ahnt, dass er und die anderen dabei sind, langsam hier unten sterben zu müssen;
er beginnt zu begreifen, dass das hier keine Lösung haben wird, als das unabwendbare Verdämmern und Versickern in Dunkelheit und dem Nicht-Wiedersehen des Draussen.
Franz erinnert sich an seine Frau, daran, was er versäumt hat, dass ihr nie gesagt hatte, dass er glücklich mit ihr war.
Sein denkendes Ich, seine ganze Persönlichkeit, ist auf einen minimalen Punkt zusammengeschmolzen.
Er ist scheinbar erstarrt, still, aber ein zweiter, genauerer Blick zeigt, dass er leise unaufhörlich weint.
Wir sehen sein extremes Gemartertsein, - die Schläfenadern geschwollen, der Atem schwer und bemüht, schluckt er gewaltsam, versucht immer wieder die Tränen wegzublinzeln.
Ohne Erfolg, immer neue Tränen kippen über die Lidränder, laufen über seine Wangen, ziehen eine nasse Bahn in den Staub und Schmutz auf seinem Gesicht.
Er sieht aus, als würde er stark frieren, gegen die Kälte ankämpfen.
Aber die frierende Verkrampfung ist nichts anderes als das leise verzweifelte Weinen eines Menschen, der die Hoffnung auf Rettung verloren hat, und der weint, weil er sich klar ist, dass alles was ihm wichtig war, ihn glücklich gemacht hatte, verloren ist;
....der keinen Weg weiss, die Situation vorwärts zu bewegen, der mit der Gewissheit zurechtkommen muss, dass kein „weiter“ auf ihn wartet.
Er weint die Tränen eines lebendig Begrabenen.
Franz Wolbert – Heino Ferch, Bruno Reger – Jan Josef Liefers Darstellerporträt Liefers, Salvatore – Benjamin Sadler. Auswahlfilmographie Sadler
Homepage des Films
Auszeichnungen: Grimme Preis 2004 für Heidelbach, Liefers, Ferch, Michael Souvignier. (executive producer) Bambi 2003 für Ferch, Liefers, Makatsch, Rohde, Uhl. Gesendet 9. November 2003 in Deutschland.
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