"Fassen sie das nicht an!" - Karmanns Invasion. in: Der Anwalt und sein Gast. Teil 3. Porträt Christian Weller ( Heino Ferch ). Buch: Jörg von Schleeb
"Fassen sie das nicht an!" - Karmanns Invasion. in: Der Anwalt und sein Gast. Teil 3. Porträt Christian Weller ( Heino Ferch ). Buch: Jörg von Schleebrügge 2002 - 2003
Text: ignazwrobel
Zwischenbericht: Karmanns Invasion.
Invasion Stufe 1:
Frank Karmann, - wir erinnern uns, Karmann steht unter mehrfachem Lustmordverdacht und ist wegen Geiselnahme an einer Frau vorbestraft, - erscheint in Wellers Hofeinfahrt und bricht dort blutend zusammen.
Katja, Christian Wellers Frau, kümmert sich rührend um ihn, verbindet den Verletzten. Karmann soll im Bootshaus übernachten, da für heute in der Stadt kein Zimmer zu bekommen ist – Messezeit.
Am anderen Morgen besorgt Wellers Sekretärin ein einfaches Pensionszimmer.
Invasion Stufe 2:
Karmann hat das Zimmer nicht genommen. Er ist zu Wellers zurückgekehrt. Als Christian nach Hause kommt, liegen die Möbel aus dem Alten Bootshaus draussen auf dem Steg, bereit zum Sperrmüll-Abtransport.
Weller, der von Karmanns Gefährlichkeit überzeugt ist, findet Katja und Daniel fröhlich im Inneren des Alten Bootshauses in Karmanns Gesellschaft.
Karmann hat gleich als erstes die hellblaue Truhe demontiert, auseinandergenommen, zerstört. Katja hat ihn nicht davon abgehalten.
Weller verliert die Fassung, schreit, ganz zu Recht:
Fassen Sie das nicht an!
Lassen die die Finger davon!
Sie sollen das nicht anfassen und mein Haus verlassen!
Karmann reagiert untröstlich, gibt sich schwach und appelliert damit erfolgreich an Katjas Mutter-Instinkt. Sie schützt ihn sofort.
Nachts, als das Ehepaar miteinander schläft, verschafft sich Karmann Zugang ins Haus und hält sich dort auf, in Hörnähe des Paares. Er nähert sich somit dem innersten Kreis der beiden: ihrem intimen Zusammensein.
Invasion Stufe 3:
Karmann hat sich eine Bagatellverletzung am Fuß zugezogen. Wieder gibt er sich schwach und hilfsbedürftig. Wieder dringt er weiter in Wellers Privatsphäre vor: jetzt liegt er bereits in Wellers Haupt-Wohnraum auf der Wohnzimmercouch!!!
Katja kümmert sich rührend wie eine Katzenmutter um ihn. Sie versorgt ihn und verteidigt ihn gegen ihren Mann. Katja versorgt Karmann
Zeit ist vergangen, Stunden, vielleicht Tage, Weller arbeitet von zu Hause aus. Durch das riesige Fenster seines Arbeitszimmers muss er zusehen, wie Karmann sich im Garten spielend das Vertrauen seines Sohnes erobert.
Der Gummistopfen-Pfeil eines Kinder- Langbogens trifft die Scheibe, durch die Christian hinausblickt.
Karmann hat den Pfeil abgeschossen, auf Weller. Es sieht aus, als hätte Karmann ihn per Blattschuss erlegt. Symbolisch hat er ihn gerade eliminiert.
Invasion Stufe 4:
Katja logiert Karmann in ein Zimmer des Boots-Hauses ein. Foto Katja und Karmann
Unbestimmte Zeit vergeht.
Karmann macht sich nützlich, putzt die Fenster. Beschäftigt sich scheinbar einfühlsam mit der Frau, ermutigt sie, spielt mit dem Kind, räumt mit Daniel das Bootshaus weiter aus.
Invasion Stufe 5:
Weller steht völlig machtlos vor diesen Vorgängen, die von Katja gefördert werden. Katja schützt Karmann immer mehr, aus Herrn Karmann wird Frank.
Wiederholt sehen wir Close ups in Wellers Gesicht, wie er abwehrend und zunehmend fassungslos den Vorgängen in seinem Haus zusieht. Er hört hier oder dort Geräusche, rennt hin, wieder ist Karmann im Wohnhaus, im Bootshaus, im Garten, beim Kind, bei der Frau, Karmann ist wie eine Heuschreckenplage.
Man fühlt, wie Christian das Ruder entgleitet, wie Karmann alles belegt und quasi Besitz ergreift von allem, dem Garten, dem Bootshaus, den Zimmern, und vor allem den wichtigsten Menschen in Christians Leben: seiner Frau und seinem Kind. Katja Karmann und Christian
Christian wird schleichend zu einem fremder werdenden Gast in der eigenen Lebensumgebung. Er steht auf verlorenem Posten.
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Parenthese: Christian und Katja
Christian Weller greift nicht heftiger durch, weil er nicht gegen den Willen seiner Frau agieren will. Er und sie waren immer ein Block, ein Wille.
Und dann:
Christian liebt Katja.
Genau in diese Richtung: Christian liebt seine Frau.
Das klingt altmodisch und abgedroschen.
Aber: In Wellers Fall stehen wir vor dem Philemon & Baucis-Phänomen.
Philemon liebte Baucis so sehr, daß die Götter seinen größten Wunsch erfüllten:
Er und seine Gefährtin wurden zu zwei Bäumen, deren Stämme miteinander verwuchsen, deren Äste sich verwoben, ineinander verflochten, Ast für Ast, Zweig für Zweig, Ästchen für Ästchen, Blatt für Blatt, Blüte um Blüte.
Die lebenden Fasern seines schlagenden Herzens sind mit dem Herzen, mit der Lebensenergie seiner Frau verbunden, verwachsen, verklebt, verwoben.
Ihr Herzblut strömt auch durch seine Adern, das Licht seiner Augen leuchtet durch ihren Blick.
Sie ist Teil seines Atems, seines Herzschlags, seines Augenlichts.
Christian liebt seine Frau mehr, als der mäßig aufmerksame Beobachter von außen sehen kann.
Er liebt sie mehr, als Katja spüren, fühlen, wissen kann.
Und: er liebt sie mehr, als er selbst artikulieren kann. Jede Bewegung gegen Katja verletzt ihn selbst.
Der tolle Hecht vom Anfang, das Gewissen des Gerichtssaals, der moderne Drachentöter, dieser Siegfried, der draußen jede Frechheit mit einem einzigen Blick bannen kann, er hat eine schwache, tödlich verletzbare Stelle:
diesen Punkt kann nur ein Mensch berühren und nur ein Mensch gefährden:
Katja, seine Frau.
Dass Katja ihn von sich wegschiebt, wegdrückt, löst tiefe Qual aus, rat- und wehrloses Gemartertsein.
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Nachtrag vom 30. juli 2009 zu Der Anwalt und sein Gast: Kommentar Christian - a christian. Erst jetzt - Jahre nach der Besprechung - fällt uns auf, dass wir eine wichtige Subtext-Story in Der Anwalt und sein Gast komplett übersehen hatten: Der Anwalt, bzw. sein Schicksal, dass ihm alles, was er liebt, genommen wird, ist eine Paraphrase auf das Buch HIOB des ALTEN TESTAMENTS.
Hiob:
Hiob ist ein verheirateter, wohlhabender Mann, gesegnet mit Kindern und Gesundheit. Da wird er mit Zustimmung von Gott vom Satan geprüft. Hiob wird alles genommen: Besitz, Ansehen, Gesundheit und gar seine Kinder. Hiob hadert mit Gott - wird er trotz dieser scheinbar sinnlosen Ungerechtigkeit an Gott festhalten oder wird er sich von ihm abwenden?
Die Story um Christian Weller ist identisch und läuft auf die identische Frage hinaus: wird er seinen Grundsätzen in Bezug auf seinen Klienten Karmann treu bleiben, oder wird er sich abwenden, wird er schwach? Weller wurde schwach. Die Staatsanwältin am Schluß zu ihm: Jetzt sind Sie kein Guter mehr.
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