"...eine Vogelscheuche, Sire!" in: Napoléon. Porträt Caulaincourt (Heino Ferch) Teil 3, Regie: Yves Simoneau. 2002
"...eine Vogelscheuche, Sire!" in: Napoléon. Porträt Caulaincourt (Heino Ferch) Teil 3, Regie: Yves Simoneau, Drehbuch: Didier Decoin, Max Gallo, Fr, D, IT, CAN, USA, UK, HU, ES, CZ, 2002
Text: ignazwrobel
"...eine Vogelscheuche, Sire!"
Situation:
1809 besiegt Napoléon bei Wagram das österreichische Heer und schließt mit Kaiser Franz I von Österreich den ‚Frieden von Schönbrunn’.
Ein Thron ist nur ein mit Samt garniertes Brett", hatte Napoleon gesagt, aber dennoch braucht er einen Thronfolger. Da die Ehe mit seiner geliebten Josephine Beauharnais kinderlos bleibt, muss er sich scheiden lassen und versuchen, eine fruchtbare Ehe einzugehen.
Er wird am 2. April 1810 die Erzherzogin Marie-Louise, eine Tochter von Franz I. von Österreich heiraten.
Napoleons Lebenslauf: Vita
Die Szene – Die Vogelscheuche.
Wir schreiben das Jahr 1810. Es ist Frühling.
Freie Natur, sanftes Hügelland, früh im Jahr, noch unbestellte Felder. Blick auf einen Feldweg, der sich hinter einem Wäldchen hervor auf uns zuschlängelt. Hellsilbernes Sonnenlicht, ein milder Märztag. Das Wetter ist dem Vorhaben unserer Protagonisten gewogen.
Die Kamera fährt zurück. Von rechts kommt ein wohlbekannter Hinterkopf mit rabenschwarzem Haar und dem berühmten quergetragenem schwarzen Zweispitz ins Bild, dazu grünweissrote Uniform.
Der Mann blickt mit uns den Weg entlang zum Wäldchen.
Er wartet.
Jetzt dreht er sich zu uns um.
Napoléon hat diesen Ort ausgewählt für ein erstes Treffen mit seiner zukünftigen Gattin, der Erzherzogin Marie-Louise, Tochter aus dem Hause Österreich.
Totale.
Wir sehen einen größeren Ausschnitt der Gesellschaft. Napoléon war seiner Kutsche entstiegen und erwartet nun die Ankunft der Österreicherin. Er ist nervös, angespannt.
Marie-Louise hat er noch nie gesehen, er weiß nicht, ob sie bezaubernd ist oder eine Vogelscheuche. Er wird sie in jedem Fall nehmen müssen, auch um den Frieden zwischen Österreich und Frankreich zu stabilisieren
„Tu felix Austria: nube! - Das Motto des Hauses Österreich: andere mögen Kriege führen – du, glückliches Österreich: heirate!“.
Napoléons geschlossenen Vierspänner umsteht im Hintergrund eine Anzahl berittener Soldaten in österreich-ungarischer Husarenuniform, offensichtlich eine Eskorte des Gastlandes.
Und, unvermeidlich, der Schatten Napoléons: unser sympathischer und allzeit bemühter Marquis de Caulaincourt.
Dieses Mal nicht in Paradeuniform.
Da er das Treffen auf diplomatischem Parkett zu arrangieren hatte, trägt er Diplomatenzivil – oder das, was man unter ‚zivil’ zu verstehen hat...
In der Tat ist es ein prachtvoller Gehrock und Kniehosen in champagnerfarbener Wildseide, Ton in Ton mit seinem waldhonigfarbenen Haar, weisses Spitzenjabot, bestickte Weste, rote Schärpe, großer Staatsorden, blendendweiße Kniestrümpfe und schwarzes elegantes schmales Schuhwerk.
Dazu ornamentierter Paradedegen in Goldschwarz.
Die ganze Erscheinung des mit der Eheanbahnung betrauten Diplomaten – eine Empfehlung für das Haus Bonaparte.
Bild Caulaincourt
Napoleon vertritt sich die Füße, er geht unruhig ein paar Schritte, schaut herum, er ist in Meckerstimmung. Caulaincourt begleitet ihn in gebührendem Abstand.
Er hat die Anspannung seines Kaisers bereits internalisiert - die virtuellen Wachtposten seiner Servilität stehen auf Habachtposition.
Schnitt.
Blick ins Feld.
Da steht – in österreichisch rotweissroter Soldatenuniform: eine ausgestopfte Vogelscheuche -mit Strohkopf und Strohhänden.
Nahaufnahme Napoleon im Profil:
er hat die Scheuche entdeckt, drüben im Feld.
Was ist das da?
Close up Caulaincourt:
Caulaincourt, der schräg hinter dem Kaiser steht, sieht zuerst Napoleon an, dann folgt sein Blick dem seines Kaisers.
Er stutzt, blinzelt, wendet sich zu Napoleon zurück - spricht das offensichtliche aus:
Eine Vogelscheuche, Sire.
Napoleon nickt bestätigend:
...in einer österreichischen Uniform! !!
Caulaincourts kugelrunder Blick wandert noch einmal Richtung Scheuche. Ihm schwant fürchterliches.
Der Kaiser in meckerndem Ton:
Wenn das Marie-Louise sieht, ist das das Ende der diplomatischen Beziehungen.
Es hat den Kaiser genug Überwindung gekostet, ein österreichisches Mädchen anzubeten!
Fünfzehn Jahre ist es her, dass Marie Antoinette die Guilliotine bestieg!
Caulaincourt hat schon reagiert.
Er wendet sich einem der berittenen Soldaten zu und bedeutet ihm mit treibenden Gesten, augenblicklich die Strohpuppe zu entfernen.
Er zeigt auf das Objekt der diplomatischen Verwirrungen und macht scheuchende Handbewegungen.
Als der Reiter losstartet, reibt der Marquis seine - offensichtlich schweissnassen - Handflächen gegeneinander und dreht sich wieder in Ausgangsposition.
Er wirft einen nervös sichernden Blick nach dem Rücken seines Chefs, der immer noch vor sich hinschimpft.
Da das Entfernen der Scheuche nur noch eine Sache von Augenblicken sein wird, läßt die Anspannung des Marquis kaskadierend in kleinen Schrittchen nach, er schließt einen Moment die Augen - endlich hört man ihn tatsächlich deutlich aufatmen. Geschafft.
Jetzt drehen beide parallel die Köpfe und beobachten, wie die Strohpuppe aus dem Blickfeld entfernt wird.
Kaum ist das geschehen, regt sich etwas am Waldrand. Die Entourage der Erzherzogin galoppiert heran, circa zwanzig berittene Soldaten mit eindrucksvollen weissen Reitercapes und Zweispitz mit schwarzer Hutzier, gefolgt von Marie-Luises Sechsspänner-Kutsche.
Close up Napoléon:
Der Augenblick der Wahrheit naht.
Napoleon geht weg, der Entourage entgegen.
Caulaincourt hat sich wieder ganz gefasst.
Er bleibt nur noch einen Moment für sich allein stehen, um sich zu sammeln, atmet tief durch und murmelt in einem Ton, der uns sagt, daß er die Verbindung der beiden Häuser unbedingt goutiert:
Sehr richtig !
Vor den Franzosen schwenken die Reiter nach links und rechts aus, die Kutsche kommt zum Stehen. Der Wagenschlag wird geöffnet. Es entsteigt ihm eine mäßig attraktive, hochgeschlossene, renitent aussehende Dame mit eisiger Mine: eine Vogelscheuche.
Napoléon zögert.
Caulaincourt sieht die Dame, blickt unangenehm überrascht zu Boden.
Er kommentiert das Gesehene mit einem bedauernden Heben der Brauen.
Aber - Es war Gott sei Dank nur die Hofdame der Erzherzogin.
Jetzt erscheint Marie-Louise selbst.
Ein hellblaues Federhütchen, dazu frühlingsblaues Reisekleid, weisser Nerzkragen - der Wind bewegt ihre goldenen Löckchen, ihr Teint wie Sévres-Porzellan, ein sinnlicher Rosenmund und die schönsten Rehaugen mit den längsten schwarzen Wimpern, die sich eine beflügelte Phantasie nur ausmalen kann.
Herrlich, atemberaubend.
Zeitlupe
Jetzt senken und heben sich einmal ihre dichtbewimperten Lider.
Was für ein Liebreiz! Was für eine Grazie! Zwei tiefschwarze Belladonna-Augen !
Der Kaiser ist entzückt, er ist hingerissen.
Das ist besser, als er je zu hoffen gewagt hat.
Er küßt Marie-Louise die Hand, fast atemlos vor freudiger Überraschung.
Er wird in der nächsten halben Stunde wünschen, die Ehe augenblicklich zu vollziehen. Kein Wunder. Caulaincourt wird es einzurichten wissen. Das Schloß von Compiègne ist nicht weit.
Marie-Louise wird Napoléon tatsächlich eine treu ergebene Gattin sein und ihm den ersehnten Thronfolger gebären.
2001-02 Heino Ferch – Armand Augustin Louis, Marquis de Caulaincourt, Christian Clavier – Napoléon Bonaparte Filmographie Clavier, Mavie Hörbiger - Marie-Louise von Österreich Filmographie Mavie Hörbiger
Fotostrecke Napoléon
Kommentar:
Caulaincourt ist zwar nur Assistenzfigur und Spiegel für Napoléons Emotionen.
Obwohl er keinen autonomen Handlungsstrang hat, ist seine Figur trotzdem "a breath of fresh air"... Ferch gibt Caulaincourt ein so reiches Profil, daß es haarscharf auf der Grenze zum komödiantischen agieren, - aber auch in harten Situationen durch seine starke Emotionalität Ernsthaftigkeit und Dramatik vertiefen kann und insgesamt unsere Aufmerksamkeit spannt wie eine Bogensehne.
Sein erregt behauchter Stimmeinsatz reisst uns sofort it in eine angespannte Stimmung mit gesteigerter Erwartungshaltung.
Immer wenn Caulaincourt auftritt, wachen wir auf - entweder aus freudig gespannter Erwartung, weil uns seine gestreßte Servilität amüsiert, - oder, weil seine innere Erregung uns aufrüttelt.---------
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