"..ich bin kein Nazi, ich bin bloß Deutscher!" in: Deutschlandlied. Porträt Hanno, Teil 1, Regie Tom Toelle, 1994-95. Hanno Schmidbauer - Heino Ferch
Bildquelle Homepage Katja von Garnier, alle Bildrechte bei ZDF und TV 60 München
Text: ignazwrobel
"...ich bin kein Nazi, ich bin bloß Deutscher!"
"Deutschlandlied" beschreibt exemplarisch das Leben in einer fiktiven Kleinstadt in Deutschland namens Königsbruck unter den Amerikanern ab Kriegsende - über einen Zeitraum von ungefähr drei Jahren hinweg.
Der Zuschauer verfolgt die Schicksale unterschiedlicher Menschen verschiedenen Alters, überzeugter Nazis, Mitläufer, Antifaschisten.
Wir in „Filmszenen“ treten an die Seite des jungen Schreinermeisters Hanno Schmidbauer. Hanno ist círca 26. Er liebt Lisa, die Frau seines ca. 5 Jahre älteren Bruders Theo, der an der Ostfront verschollen ist. Lisa hat einen dreijährigen Sohn von Theo, Robertchen, genannt Robbie.
Bilder zum Film
Vor der Szene:
Die Amerikaner internieren zunächst alle ehemals unter dem Hitler-Regime organisierten Männer in Lagern, um überzeugte Nazis, Mitläufer und Nicht-Faschisten benennen und für die nachfolgende Entnazifizierung voneinander trennen zu können.
Hanno wird ebenfalls von der Straße weg gepackt und auf einen Wagen verfrachtet; er wehrt sich lauthals, schreit die Amerikanischen Soldaten an:
Ich nix Nazi, ich war im Volkssturm, ich war im Widerstand! Ich will nicht ins Lager!
Ich bin kein Nazi! Ich bin bloß Deutscher!
Lisa muss aus der Entfernung entsetzt zusehen, wie Hanno abtranportiert wird. Monatelang erfährt sie nichts.
Die Szene
....Lisa!
Hanno steht auf der Straße vor der Werkstatt, er ist endlich aus dem Lager heimgekehrt. Überall Schuttberge, man hört unentwegt Steineklopfen. Der Mörtel wird entfernt, damit die Steine erneut verbaut werden können. Hinter Hanno ein großes Werkstattschild an der Hauswand. Schreinerei Schmidbauer steht darauf.
Hanno steht unschlüssig da. Grünes Hemd, grüne Militärjacke, mit weißer Farbe befleckt, schmutzig, Hosen in weißbefleckten Schnürstiefeln, ein Pappkarton unter dem Arm. Er schaut suchend herum. Oben im ersten Stock übt ein Mann im Unterhemd Saxophon. Jetzt beugt er sich aus dem Fenster:
Suchen Sie jemand?
Hanno antwortet nicht.
Er geht quer durchs Bild von der Werkstatt zur Haustür auf der anderen Seite hinüber.
Wir haben Hanno zwar schon vorher gesehen, jetzt allerdings dringt zum ersten Mal unübersehbar eine Tatsache in unser Bewußtsein: Hanno hinkt.
Sein Gang ist breit, jeder zweite Schritt bricht ein wenig ein, er fängt seinen Körper in leichter Rücklage auf, was in seinem Schulterbereich eine Seitwärtsbewegung auslöst, wo keine sein sollte. Sein Fuß wirkt steif, auch im Fußgelenk.
Hanno hinkt nicht aufgrund einer temporären Verletzung, sondern aufgrund einer dauerhaften Versehrtheit, Ergebnis einer Selbstverstümmelung.
Hanno war kein Nazi, als Soldat hatte er sich selbst in den Fuß geschossen, um dem Raubmörder-Regime nicht mehr dienen zu müssen.
Das Ergebnis seiner lebensgefährlichen wie mutigen Tat, -auf Selbstverstümmelung stand im Entdeckungsfall die sofortige Todesstrafe-, wird ihn für den Rest seines Lebens begleiten.
Hanno öffnet die Tür zum Hauseingang, dann zur Werkstatt.
Ihm bietet sich ein Bild des Chaos.
Eine schlesische Großfamilie mit drei Generationen wurde hier einquartiert. Flüchtlinge. Überall Menschen, Frauen, die waschen, Betten, Wäscheleinen, ein Kanonenofen in der Raummitte, aufgehängte Kleidungsstücke, es dampft. Hanno versucht, die Leute gewaltsam zu vertreiben. Die Frauen schreien nach ihrem Vater. Opa Peisener erscheint, ein schwacher Greis, aber willensstark und voller Durchsetzungskraft.
Schnitt
Hanno und Opa Peisener haben sich schon eine Zeitlang beschimpft, jeder der beiden verteidigt das Revier 'Werkstatt'.
Sie stehen sich gegenüber, wütend, mit erhobenem Arm. Beide haben Gegenstände in der Hand, um damit zuzuschlagen, Opa Peisener einen Schürhaken und Hanno eine riesige Schraubzwinge. – Hanno brüllt Opa Peisener an, will ausholen, da friert seine Bewegung plötzlich ein.
Im Türrahmen ist jemand erschienen.
Hannos Gesicht sieht ganz erschrocken aus, ungläubig erstaunt.
Er schaut, begreift nur langsam. Aus seinem Inneren löst sich ein Wort, drängt in sein Bewußtsein:
Es ist ein Name, der Name der Person, die jetzt in der Tür steht.
Lisa!
sagt er mit ganz heller Knabenstimme, wie ein kleiner Junge, so als sähe er ein Traumbild, dessen Realisierung ihm schon längere Zeit nicht mehr möglich schien.
Close up Lisa
In ihrem Gesicht spiegelt sich Freude, so große Freude, daß Tränen kommen.
Sie liebt Hanno und hatte befürchtet, ihn lange, lange nicht mehr wiederzusehen, genauso wie ihren Mann Theo.
Lisa lacht und weint gleichzeitig. Sie schlägt die Hände vors Gesicht.
Close up auf Hanno.
Er hat die Schraubzwinge immer noch erhoben.
Auf einmal preßt er die Lippen zusammen, seine Mundwinkel sinken ab, ohne daß er es will. Der Versuch, seine Ergriffenheit zu bekämpfen, mißlingt.
Die Augen sind glänzendnass geworden.
Jetzt kräuseln sich Lachfalten an der Schläfe, ein Lächeln erhellt Mund- und Augenwinkel.
Er ist gerührt, erleichtert, glücklich. Er begreift, daß er nicht träumt. Da steht wirklich und wahrhaftig seine Lisa.
Lisa nimmt die Hände vom Gesicht und lacht durch Tränenschleier.
1994-95 Hanno Schmidbauer – Heino Ferch (im Alter von 30 Jahren), Lisa Schmidbauer – Katja Riemann, Homepage Katja Riemann, Opa Peisener – Jan Biczycki Filmographie
Filmographie Peter Märthesheimer
Standfoto Hanno und Lisa Schmidbauer
Kommentar 1:
Kommentar für junge Schauspieler und solche, die es werden wollen: Falls ihr zweifeln solltet, ob ihr das Zeug dazu habt, groß zu werden...Schaut Euch den Hanno Schmidbauer an und dann in Reihe: Johannes in: Küss mich!, Roman in: Comedian Harmonists, Simon in: Grüne Wüste, Dr. Hennings in: Nachts im Park und zum Schluss Anton Glauberg in Mord am Meer. - Oder noch krasser: Zuerst Hanno und direkt danach Glauberg. Eine überzeugendere Ermutigung kann es nicht geben.
Eindrucksvoll ist auch ein Vergleich der Darstellung eines ähnlichen emotionalen Ablaufs in einem frühen und einem späteren Projekt. z.B. die obige Szene im Vergleich mit der Schlussszene aus "Der Tunnel" uzw. exakt dem Moment, in dem Harry Melchior nach der geglückten Tunnelflucht seine Schwester Lotte wiedersieht.
Er entdeckt sie (in einer Menschenmenge) ähnlich, wie Hanno Lisa plötzlich in der Tür "entdeckt".
Das ist wie der Vergleich zwischen einem roh behauenen Baumstamm, in dem man schemenhaft die Umrisse erkennen kann und einer elaboriert feinst skulpierten Figur.
Der Aufwand in "externen" Mitteln der Bewegung bei Harry ist weniger als die Hälfte und der Effekt weit mehr als doppelt so stark, m.E. weil die Durchlässigkeit der vorgestellten Emotion von innen, wo sie produziert wird, nach aussen, wo sie sich in Mimik niederschlägt, so ungeheuerlich gewachsen ist.
Mit Harry weinen wir, Hanno beobachten wir.
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