Freitag, September 02, 2005

"…das mit mir und meiner Frau: - Statistik." Heino Ferch als Anton Glauberg in: Mord am Meer. Glaubergs Familie Teil 1., Regie: Matti Geschonneck, 200

Text : ignazwrobel

’…das mit mir und meiner Frau: - Statistik.’

Vor der Szene:

Ein Mord ist geschehen. Anton Glauberg, der mit der Aufklärung betraute Kommissar, hat zusammen mit dem Pastor des kleinen Ortes den Tatort besichtigt. Tatort ist ein Privathaus direkt hinter dem Deich am Meer, Süder Deich 4.

Haupthandlung des Filmes ist die Aufklärung des Mordes ‚ ’zum Nachteil des Hans Jacobi’ wie Paula Reinhardt, die Co-Ermittlerin sagen wird.

Ein Neben-Handlungsstrang ist Anton Glaubergs aktuelle persönliche Situation.

Seine Frau Sylvia hat sich vor kurzem von ihm getrennt, die Scheidung ist offensichtlich bereits gerichtlich vollzogen.

Sie blieb mit dem gemeinsamen Kind, Felix, einem 7jährigen Jungen, im Haus der Familie.

Glauberg ist ausgezogen, lebt übergangsweise in einer sehr einfachen Pension auf dem Land. Die Trennungssituation ist relativ frisch, ein paar Wochen vielleicht.

Glauberg möchte verständlicherweise versetzt werden, die Dienststelle wechseln.

Sein Chef will seinen besten und oft belobigten Kommissar jedoch nicht gehen lassen.

‚Du liebst doch das Meer. Du gehörst hierher.’

Pastor Gnaatz, der die Leiche beim Joggen entdeckt hat, und Glauberg waren am Tatort, im Haus Jacobis , wo die Leiche noch unberührt geblieben war, so wie sie gefunden wurde.

Die Polizei hat mit der Spurensicherung noch nicht begonnen, der Pastor war gebeten worden, am Tatort auf das Eintreffen Glaubergs zu warten.

Nach Besichtigung des Tatortes durch Glauberg und Befragung des Pastors gehen beide vors Haus.


Glauberg war mit seinem Auto zum Tatort gefahren.

Er wirkte von Anfang an äußerst verschlossen und schweigsam.

Den Gruß des Polizisten
„Hallo Anton!“,
der den Tatort bewachte, erwiderte er nicht.
Eine informierende Bemerkung desselben Polizisten überging er, als wäre der andere gar nicht anwesend.

Glauberg trägt Jeans, hellbraune Cordjacke, braune Schuhe, schwarzen Polopullover, darunter ein blaukariertes Hemd.
Er wirkt auf uns abweisend, ganz in sich gekehrt, unter immenser verkrampfter Spannung, zutiefst traurig gleichzeitig.

Seine Mine ist verdüstert, die Brauen permanent zusammengezogen.
Die Augenlider sind abgesunken- so, wie sie absinken, wenn man sehr lange unter seelischem oder körperlichem Schmerz steht und schon lange keinen Tag, keine Minute, keine Sekunde mehr gelächelt oder wenigstens seine Züge entspannt hat.

Resigniert wirkende Schatten liegen auf den Wangenknochen; tiefe Schmerzfalte zwischen den Brauen, grau unter den Augen.

Er wirkt wie ein Mensch, der sich schon lange und langsam immer mehr verkrampft hat, zusammengezogen, gleichzeitig von einem Schmerz gequält, der im Feuer geglüht wurde und heute zu hartem Eisen erkaltet ist.

Sein Herz scheint eingepanzert, eingemauert.
Es ist für uns schwer, Glauberg zu ertragen.

Seine Anspannung, seine unglaublich angespannte Trauer überträgt sich auf uns, wir können uns nicht distanzieren, freimachen.

Wir spüren eine Spannung, die wie trocknende Lederriemen sich uns um unseren Brustkorb zusammenzieht, uns immer mehr am Durchatmen hindert.


Eine kühlende und beruhigende Arznei ist Glaubergs Stimme.

Sie ist äußerst angenehm - klar, kühl, leicht, federleicht.

Glauberg spricht leise, glasklar, ohne Druck.

Hin und wieder wirkt er, als würde es ihn die Überwindung eines Schmerzmomentes kosten, mit dem Sprechen zu beginnen. Am Satzende bricht die Stimme häufig ins Tonlose, so, als wäre ihre Kraft früher zu Ende als der Satz.

Egal, was er sagt, in dieser angenehmen, nicht harten, intelligenten Stimme schwingt ein leiser Continuo von tiefer Trauer mit, berührend.

Gleichzeitig signalisiert die Stimme Wachheit, ist das Gegenteil von monoton.

Der Weg vom Gedanken zum Wort ist leichtflüssig, alle Synapsen auf Durchschaltung, Datenautobahn, er wirkt geistig beweglich.

Glauberg scheint heftig nachzudenken, ununterbrochen, weit mehr, als in der Situation von außen verständlich und erforderlich.


Die Szene

Vor dem Tatort im Freien

Close up Glauberg.

Glauberg und der Pastor wechseln zum Abschluss noch einige Worte vor dem Hause Jacobis. Der Pastor ist ein hoch gewachsener, durchtrainiert und maskulin wirkender Mann, Charaktergesicht.

Pastor Gnaatz:

Herr Jacobi war kein Mitglied meiner Gemeinde. Jedenfalls habe ich ihn in meiner Kirche nie gesehen.

..lächelt verbindlich: …wie ich auch Sie lange nicht begrüßen durfte.

Glauberg im very close up ‚…er bestätigt mit einem winzigen Nicken die Aussage des Pastors

‚…ich hatte auch eher meine Frau begleitet.

Glauberg blickt in die Weite, zum Horizont, weg.

Seinen Worten hallt ein kaum merkliches Nicken nach.

Jetzt ändert es seine Wirkung fast in den Hauch eines Ausdrucks, wie man ihn von alten Menschen kennt, die ihren Kopf im einem Moment der Schwäche nicht mehr ganz ruhig halten können,- der Kopf gibt mit einer mikroskopischen Bewegung im Nacken ein ganz klein wenig nach.

Der Pastor lächelt weiter, bemerkt Glaubergs Zustand nicht.

Die Kirche ergreift in solchen Fällen keine Partei.

Glauberg, etwas verärgert,

..was heißt´n hier in solch´n Fällen?

deutet mit einer Kopfdrehung zum Haus, und sagt, belegt, behaucht, leise:

Das da drin is´n Fall.

Die Kamera blickt Glauberg jetzt, als er direkt an das Verhältnis zu seiner Frau erinnert wird, im Very Close Up ins Gesicht, eigentlich ins Herz. Glauberg denkt an sie.

Plötzlich wirkt sein Gesicht abgehärmt.

Die Augen zusammengezogen, er blickt ins Licht. Die Züge um die oberen Wangenpartie, um die Kinnlinie wirken wie die eines abgearbeiteten und gealterten Menschen. Am Hals Spuren eines Ausdrucks, der geschwächt erscheint.

Glaubergs Züge sind zwar die eines Vierzigjährigen.
Um das Kinn ist jedoch plötzlich Etwas, das den Eindruck erweckt: dieser Mann ist auch achtzig, nicht nur vierzig.

Durch sein Gesicht hindurch scheint wie ein Palimpsest ein Schädel, der wirkt, wie der Kopf eines Menschen, der an einem Ort war, wo es nur Arbeit, schwerste Arbeit und Tränen gab. Straflager, ein Zwangsarbeitslager.

Jetzt, in diesem Moment, scheint er wie ausgezehrt von zu langer quälender Anstrengung.

Dieser Mann schaut nicht in die Zukunft, er ist auch nicht verbittert über die Vergangenheit, nicht verbohrt. Unter den Augen liegt keinerlei Verbissenheit.

Kein Zorn zeichnet sich ab, weder gegenwärtig noch vergangen.

Ein Gefühl schwingt mit wie: Zehntausend Kilometer zu Fuß gegangen bis zur Erschöpfung. Ermattet nach langer zermürbender Aufgabe. Es ist keine Bitternis in der Mimik, eher fatalistisches Sich-Ergeben.

Ein Eindruck glimmt auf, als wären Tausende von Tränen geweint und wieder getrocknet, leergeweint.


Er blickt wieder ins Nichts, zum Horizont, sagt:

Das mit meiner Frau und mir…, das ist

Die Stimme gleitet ins Tonlose:


Mein Gott….-


- Statistik.



Ende der Szene.


2004-2005 Heino Ferch – Anton Glauberg, Birge Schade – Sylvia Glauberg Filmografie Birge Schade, Pastor Gnaatz – Thomas Sarbacher Agentur-Homepage Thomas Sarbacher, Jürgen Stahnke – Hans Wolgast/Jacobi, Regie Matti Geschonneck Filmografie Matti Geschonneck,
Buch Thomas Kirchner Homepage Thomas Kirchner


Kommentar zum Film, (ausgezeichnet mit dem TV-Produzenten-Preis, dem Hauptpreis des Fernsehfilm-Wettbewerbs, auf dem FILMFEST HAMBURG 2004) und Foto Glauberg Artikel AZ

Kommentar 1:

Das geradezu Unheimliche an Ferchs Arbeit ist, dass sie immer noch immer besser wird, auch nach siebzehn Jahren ist keine Abflachung der learning curve zu spüren, ferch´sche Stilmittel sind mit einer Finesse und Virtuosität, einer atemberaubenden Feinheit, Durchlässigkeit und einem Reichtum an Kombinationen von feinst modulierten Ausdrucksvarianten umgesetzt, dass, dass, ...mir fehlen die Worte.

Die Figur ist derartig dreidimensional, plastisch, tief, dass wir ihre Gefühle, Sorgen, Ängste, die sie gar nicht ausspricht, bis ins Herz geschossen bekommen.

Mimik und Ausstrahlung der Figur tragen sie uns entgegen, so intensiv, dass es manchmal schwer ist, als Zuschauer überhaupt Stand zu halten. Ferch ist der Magier, der immer und immer wieder physisch spürbare Reaktionen von Freude, Schmerz, Beklemmung, am Herz, am Solarplexus des Zuschauers auslösen kann.
(Genau dort, es wechselt nicht, mir stehen nicht einmal die Haare zu Berge, ein anderes Mal bekomme ich vielleicht Gänsehaut, bei ihm nicht. Immer trifft er das Herz. )
Ich kenne niemand anderen, der das in seinen Figuren mit der Zielsicherheit eines Bogenschützen wiederholen kann..
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..warum jetzt ausgerechnet der Vergleich mit Bogenschützen? Der Bogensport ist ein leiser Sport. Der Schütze scheint nur dazustehen, scheinbar passiert nichts. Innerlich hingegen läuft sehr viel ab. Das Ergebnis von Nachdenken, Hingabe und Konzentration sieht man erst, wenn der Pfeil abgeschossen ist - und im Ziel steckt.


2004-2005 Heino Ferch - Anton Glauberg, Thomas Sarbacher - Pastor Gnaatz.
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Der Romanautor Ulrich Woelk über die Verfilmung

Der Redakteur Daniel Blum über die Verfilmung

Dorota M.Paciarelli: Laudatio TV-Produzentenpreis

Standfoto Anton Glauberg