"..sagten Sie: Gräfin?" in: Napoléon. Porträt Caulaincourt Teil 4, Regie: Yves Simoneau, Buch: Didier Decoin, Max Gallo, 2001-2002 Caulaincourt: Heino
1809 - Polen - Ankunft Napoleons in einem polnischen Städtchen mit Regierungssitz.
"..sagten Sie: Gräfin?"
Unser Blick schweift über einen kleinen freundlichen farbenfrohen Marktplatz, Sonne, frisches Frühlingslüftchen. Die Fassaden sind durchweg lupenreines 18. Jahrhundert. Mariensäule mit weißen Rokokoheiligen, ähnlich Salzburg Altstadt. Der Schafmarkt findet gerade statt, viel Volk ist auf dem Platz - Leute aus Stadt und Land.
Alles ist für die Ankunft Napoléons vorbereitet.
Vor dem Stadtschloß bilden blauweissrote Soldaten eine beiderseitige Spaliergasse für Napoléons Entourage. Eskortiert von Kavallerie fährt Napoléons Kutsche ein, hält vor der Fassade des zierlichen Stadtschlosses.
Jubelndes Volk begrüßt ihn. Man hofft auf ihn als Befreier von der Fremdherrschaft, Polen existiert momentan als eigener Staat nicht auf der Landkarte Europas, Preußen, Österreich und Russland haben es untereinander aufgeteilt.
Kamerafahrt aus der Vogelperspektive herab auf Augenhöhe in die erste Reihe der Schaulustigen, als die Kutsche Napoléons ganz nah heran ist.
Die Kutsche hält genau vor uns.
Auf dem Kutschbock Napoléons ägyptischer Leibwächter, er steigt ab, öffnet den Schlag. Einer zweiten Kutsche ist Caulaincourt entstiegen, in seiner blauen goldbestickten Uniform mit Mantel, weissen Reithosen, Kavalleriestiefeln, Degen.
Napoléon nimmt die Ovationen des Volkes entgegen.
Caulaincourt eilt auf seinen Kaiser zu, gleichzeitig beginnt er, sein eigenes Exterieur zu vervollständigen. Er krempelt schon mal die Ärmel hoch, nein, stimmt nicht, er schlüpft in seine weißen Handschuhe - für uns Signal des Beginns eines offziellen Zeremoniells. Jetzt steht er vor Napoléon.
In den lauten Jubel hinein sagt er:
Wenn Sie erlauben, Sire , werde ich schon mal vorgehen.
..und enteilt direkt an uns vorbei aus dem Bild, jetzt mit komplettiertem Decorum.
Napoleon zieht seinen Zweispitz und grüßt das jubelnde Volk.
Unsere Blickfeld erweitert sich aus Augenhöhe wieder über den ganzen Platz, über die Köpfe hinweg, wir sehen Hunderte von winkenden Händen und Hüten.
Schnitt.
Hauptportal des örtlichen Domes.
Soldaten haben eine Spaliergasse gebildet als Absperrung. Nahe am Portal endet das Spalier. Dort steht beiderseits bis zum Haupteingang schaulustiges Volk, neugierig, aber ohne zu drängeln. Es sind vor allem Frauen.
Wir folgen eilig und nur zwei Schritt hinter des Marquis´ beachtlichem Rücken, der schnell und entschlossen durch die Spaliergasse auf das Hauptportal des Domes zugeht.
Wir haben alle Eile, Caulaincourts Tempo zu halten.
So sehen wir nur aus dem Augenwinkel, daß sich aus der Menge der Frauen eine Gestalt gelöst hat. Jetzt fällt sie Caulaincourt in den Arm.
Wir können gerade noch anhalten, beinahe wären wir über die beiden gestolpert.
Wir sind nur noch einen Schritt hinter ihnen, sehen beider Gesicht und Oberkörper aus nächster Nähe, der Marquis im verlorenen Profil, die Dame von der Seite.
Die junge Frau, vielleicht zwanzig Jahre, trägt standesgemäße edle Kleidung, ein zimtfarbenes besticktes Kapuzencape mit Zobelbesatz und zimtfarbene Seidenhandschuhe.
Die Farbe ihrer Robe korrespondiert perfekt mit der Haarfarbe Caulaincourts. Die beiden bieten einen wunderschönen Anblick - ein Farbrausch in Royalblau, Gold und Zimtbraun.
Bitte verzeihen Sie Monsieur!
Helfen Sie mir, ich muss den Kaiser sprechen!
Caulaincourt lehnt seinen Oberkörper indigniert etwas zurück. Was soeben geschieht, widerspricht jedem Protokoll. Als Angehöriger eines elitären Standes ist er es absolut nicht gewöhnt, körperlich so respektlos bedrängt zu werden.
Es dauert nur Sekundenbruchteile, bis ein Soldat der Dame mit dem Gewehr ein weiteres Vordringen verunmöglicht. Wir sehen den Arm und die Waffe des Soldaten. Er hält das Gewehr mit versperrender Geste wie einen Schlagbaum zwischen den Adligen und die Angreiferin.
Das ist.. absolut.. unmöglich!
antwortet Caulaincourt und geht sofort weiter. Das Gewehr des Soldaten hält die Dame zurück.
Close up auf das fein geschnitte Gesicht der jungen Frau.
Sie ruft dem Marquis nach:
Wie können Sie erlauben, daß einer Ihrer Soldaten die Gräfin Maria Walewska so behandelt!
Gräfin.
Für den Marquis ist das ein Stichwort, auf das er mit einer ruckartigen Rückwendung zu Maria Walewska reagiert. Der Marquis de Caulaincourt ist tief in seinem Herzen von einer Standesgesellschaft überzeugt.
Eine Gräfin ist standesgemäß und hat das Recht, gehört zu werden.
Er sieht sie noch einmal – jetzt prüfend und aufmerksam an. Nach einer Sekunde, in der sich beide aus der Distanz anblicken, hat er sich zur Umkehr entschlossen. Ein kurzes Nicken bedeutet dem Soldaten, die Waffe fortzunehmen.
Der Marquis kommt die zehn Schritte, die er bereits weitergegangen war, zurück. Gräfin Walewska steht nun frei in der Spaliergasse.
Caulaincourt hat Maria Waleswka erreicht, beide in respektvollem Abstand voreinander. Caulaincourt richtet sich auf.
Sagten Sie: Gräfin?
So ist es.
Close up Caulaincourt. Er sieht ihr noch einmal einen Moment in die Augen, forschend, wach, sogar ein wenig enthusiasmiert, blickt dann kurz nachdenkend weg, schließlich für die Dauer eines halben Atemzuges überlegend zu Boden. Er hat einen Entschluß gefaßt.
Wortlos bietet er ihr, sehr überraschend für uns – und wohl auch für die Gräfin – mit höfisch-ritterlicher Geste seinen Arm. Es ist die Geste des adligen Kavaliers, die erwartet, dass die Dame sie mit einem Auflegen ihrer Hand auf seinen Unteram akzeptiert.
Gräfin Walewska akzeptiert die Geste – jedoch in einer Weise, die wieder nicht dem Protokoll entspricht. Sie legt nicht nur ihre Hand auf den Arm des Marquis. Nein. Sie hakt sich unter und legt dabei ihre Hand - mit gespreizten Fingern! - von innen auf seinen Arm. Die Oberarme der beiden berühren sich, ihr Ellbogen berührt seinen Leib.
Für diese Zeit in diesem offiziellen Rahmen ist das eine Geste von unerhörter Intimität, eigentlich inakzeptabel.
Die enge Berührung tut unmittelbar Wirkung. Beide versuchen beim Gehen nach vorne zu blicken, was allerdings nur bedingt gelingt. Seine und ihre Blicke klicken ganz unprotokollarisch immer wieder suchend und sichernd nach dem Anderen hin. Caulaincourt bewahrt Haltung und führt Maria Walewska in Richtung des Kaisers.. Maria Walewska kann sich nicht eines kleinen wohlig-siegreichen Lächelns erwehren, obwohl die zierliche Frau etwas Mühe hat, mit Caulaincouerts siebenmeilen-Stiefelschritten mitzuhalten.
Als der Kaiser nur noch wenig entfernt ist, läßt die Gräfin Caulaincourts Arm fahren und rennt - die dritte Protokollverletzung in Reihe (! eine Dame von Stand rennt niemals !)– – ohne sich zu bedanken auf den Kaiser zu.
Sire!
Sie küßt Napoléon die Hand, wie in Polen höherstehenden Personen gegenüber üblich.
Eigentlich wollte sie um Freiheit für ihr Volk bitten. In der Aufregung und unter Napoléons flammend intensivem willensstarken und sehr männlichen Blick hat sie ihren Text vergessen. Naja. Kann ja mal passieren.
Jedenfalls ist der Grundstein zu einer heißen Affäre zwischen dem Kaiser und ihr gelegt. In diesem Moment allerdings bricht die Walewska schamhaft den Dialog ab und verschwindet, wie Cinderella im Märchen beim Glockenschlag, spurlos in der Menge.
Caulaincourt kann sofort einen neuen Sonderauftrag übernehmen: er muss Cinderella Walewska finden, koste es was es wolle.
Caulaincourt wäre nicht Caulaincourt, wenn er nicht auch diese Aufgabe schnell und intelligent lösen würde. Er veranstaltet einfach einen Ball mit dem gesamten Adel Polens, Walewska wird sich unter den Gästen wiederfinden.
2001-02 Armand Augustin Louis, Marquis de Caulaincourt – Heino Ferch Heino Ferch Filmografie, Gräfin Maria Walewska – Alexandra Maria Lara Homepage Alexandra Maria Lara, Napoléon – Christian Clavier Filmografie Christian Clavier
Fotostrecke Napoléon
Historische Info: Polens Hoffnungen
'Nach der III. Teilung verschwindet Polen von der Landkarte Europas. Doch die Polen wollen sich mit dieser Tatsache nicht abfinden. Man sucht nach Hilfe, nach einem Verbündeten. Der aufsteigende Stern Napoleons scheint die perfekte Lösung zu sein. Man bietet ihm das polnische Heer an. Im Gegenzug soll er den polnischen Staat wieder entstehen lassen. Und Napoléon willigt ein und tatsächlich gründet er 1807 auf dem den Preußen nach dem Tilsiter Frieden entrissenen polnischen Gebiet das Großherzogtum Warschau.
Es ist durch eine Personalunion mit Sachsen verbunden. Zum Warschauer Fürsten wird der Napoléon wohlgesonnene Friedrich August der I. ernannt.
Ansonsten ist das Großherzogtum völlig den Interessen Frankreichs unterstellt. Doch in Polen sieht man in dem Herzogtum einen hoffnungsvollen Anfang und der Jubel ist groß.
Als Napoléon schließlich noch Maria Walewska zu seiner Geliebten macht und aus dieser Beziehung Sohn Alexander hervorgeht, ist der Kult für Napoléon in Polen für immer begründet.'
Quelle: http://www.wissen.de/, Stichwort Napoleon
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