Freitag, September 02, 2005

Filmszenen I "...Lügner!" Porträt Klaus Barbie ( Heino Ferch ) Teil 1 in: Lucie Aubrac, Regie: Claude Berri, Buch Claude Berri, Lucie Aubrac, FR, 1997







Bildquelle und Bildrechte Lichtbildwerke: Renn – TF1 Films – Rhone-Alpes Cinema – D.A Films – Pricel 1997



Text: ignazwrobel

Die Story:

Die Geschichte basiert auf einer autobiografischen Novelle der französischen Widerstandskämpferin Lucie Aubrac.

Der Film erzählt ihre Geschichte und die ihres Gatten. Das Paar war zur Zeit der Deutschen Besetzung ihres Landes während des Zweiten Weltkrieges im französischen Widerstand engagiert.

Mehr als einmal helfen Lucie ihre Liebe und Beherztheit, ihren Mann Raymond vor dem sicheren Tod aus den Händen der Gestapo zu retten.

Der Film erzählt uns die Liebesbeziehung zwischen Lucie und Raymond und den Widerstandskampf ihrer Gruppe.

Moulin, -Deckname Max-, ist der Kopf der Gruppe und ein in Frankreich berühmter Held.

Er starb, ohne unter der Folter des Gestapo-Offizers Klaus Barbie, der wegen seiner Grausamkeit den Beinamen „Schlächter von Lyon“ hatte, zu gestehen.

plot summary auf Englisch in der imdb


Vor der Szene:

Frankreich, 40er Jahre. Das Hitlerregime hat Frankreich besetzt.

Auf den Straßen Lyons überall Deutsche Soldaten. Die französische Resistance versucht, gegen die Besatzer durch Anschläge und Sabotagen vorzugehen.

Die deutsche Gestapo verfolgt in Lyon die Gruppe um den Resistanceführer „Max.“
Ein Mitglied dieser Resistancegruppe ist auch Raymond, der Mann von Lucie. Er war beim Anschlag auf einen Deutschen Militärzug beteiligt.

Raymond und Lucie sind verheiratet, haben ein kleines Kind und lieben sich unverbrüchlich, tief und innig.

Der deutsche Gestapo-Obersturmbannführer Klaus Barbie hat die Aufgabe, den Kopf der Resistance, „Max“, zu finden.

Bei einer geheimen Zusammenkunft von Max und seinen Mitstreitern war es Barbie durch eine Blitzaktion zwar gelungen, Max zusammen mit seinen Leuten gefangenzusetzen.

Dennoch kann er Max nicht zweifelsfrei identifizieren, denn alle Beteiligten schweigen auch unter Folter eisern.

Barbie hat schon einiges versucht, wir sehen die Mitglieder der Gruppe blutüberströmt, zerschlagen und von Spuren körperlicher Mißhandlung schwerst gezeichnet. Barbie verliert langsam die Geduld, er ist in sehr angespannter Stimmung, weil er sein Ziel – die Identifikation von Max - zu lange schon nicht erreicht.



Die Szene:

"...wer ist Max?"


Heute wird Raymond, unser Protagonist, zum Verhör vorgeführt.

Wir sehen ihn im Hauptquartier. Treppen zu Barbies Räumlichkeiten. Alles weißer Marmor, säulenflankiertes Treppenhaus, eine riesige Hakenkreuzfahne im Atrium übergreift mehrere Stockwerke.

Raymond ist krank und geschwächt vom Gefängnisaufenthalt, das Gefängis ist ein schmutziges Loch voller Kakerlaken.

Jetzt ersteigt er, hinter einem Soldaten gehend, die Hände in Handschellen, langsam und angstvoll die Stufen des Gestapo Hauptquartiers. Er ahnt, dass ihn Folter erwartet.


Vorzimmer, mehrere Sekretäre, man hört Schreibmaschinentippen, geschäftiges Hin und Her.
Das Vorzimmer ist weniger ein Zimmer als vielmehr ein Saal , riesengroß, dunkel, Wandvertäfelungen mit saalhohen Aktenregalen, Schreibtische, Subalterne in Zivil. Raymonds Identität wird festgestellt.
Dann führt ihn ein blauer Zweireiher zur Tür von Barbies Büro, klopft, öffnet.


Wir werfen einen ersten Blick in das Zentrum der Macht.

Die Wände sind vollständig in dunklem polierten Holz getäfelt.

Das Zimmer strahlt männliche Gediegenheit aus. Wir riechen den strengen harten Duft erkalteten Zigarrenrauches. Ganz hinten in dem sehr großzügig angelegten Büro ein Schreibtisch.

Dort sitzt in elegantem Zivil Barbie.

Schnitt.

Wir stehen in Barbies Rücken und sehen, wie Raymond hereingeführt wird.

Der blaue Zweireiher holt einen Stuhl, stellt ihn mit der Lehne in Richtung Barbie.

Raymond muss sich darauf setzen, der Zweireiher reisst ihm die gefesselten Hände vor die Lehne.

Wir hören Barbies Stimme, stehen immer noch in seinem Rücken.

Lassen Sie uns alleine.

Die Stimme klingt genervt, angespannt, nichts Gutes verheißend. Der Zweireiher geht.


Schnitt.

Erster Blick auf Klaus Barbie von vorne.

Er scheint Anfang dreissig zu sein.

Wir sind einen Schritt von ihm entfernt, sehen seinen Oberkörper, die Schreibtischfläche mit schwarzem Telefon und exakt am Tischrand ausgerichteten Akten.

Barbies Arme und Hände wirken sorgfältig auf dem Tisch in Position gesetzt.


Seine Erscheinung ist von der gediegenen dunklen Eichen- Wandtäfelung hinterfangen; der Raum im Halbdunkel, silbernweisses Streiflicht skizziert die wenigen Gegenstände auf dem Tisch.

Der weisse Streiflichtsaum, der das extrem feine Tuch seiner taubenblauen Anzugjacke aufleuchten läßt, jeden einzelnen Finger der locker auf dem Tisch abgelegten Hand wie eine Marmorskulptur herausmeisselt, den unglaublich exakten Schnitt seines perfekt gekämmten Haares betont und weisse Lichtakzente auf Kragen, Stirn und Nasenrücken setzt, macht Barbies Erscheinung zu einer Ikone der Perfektion.

Seine ersten Bewegungen verstärken diesen Eindruck. Mit abgezirkelten Gesten nimmt er Raymonds Pass hoch, vergleicht die Daten, blättert exakt ein Blatt in der Akte um und legt den Pass an seinen Platz zurück.

Also, Herr Ermelin, erzählen Sie...

Wir hören Schreibmaschinengeklapper. Raymond blickt zusammen mit uns zu der Geräuschquelle hinüber. An einem zweiten Tisch sitzt eine honigblonde Sekretärin mit stark rot geschminkten Lippen in Uniform und tippt vor sich hin.

Nach zwei Sätzen erhebt sich Barbie von seinem Tisch, geht darum herum. Er läßt Raymond dabei keine Sekunde aus den Augen. Sein Kopf ist leicht angehoben, er wirkt bedrohlich, extrem bedrohlich, als wäre er geladen. Er droht noch nicht, aber die Explosion scheint nur noch eine Frage der Zeit. Jeder seiner Schritte hallt auf dem Parkettboden.

Jetzt nimmt er im Vorbeigehen einen Gegenstand vom Tisch auf...Close up auf Barbies Gesicht, während er geht. Er hat den Kiefer verbissen, die Lippen in aufgestauter Wut zusammengepresst.

Sein Gesicht wirkt erschreckend grausam, zumal im Halbdunkel seine Augenhöhlen nur zwei schwarze Schatten sind. Wir können seinen Blick nicht erfassen.

Gerissener Schwenk über Barbies Profil hinab zu seinen Händen. Er bleibt vor Raymond stehen, wir einen halben Schritt rechts hinter ihm. Jetzt sehen wir, was er in der Hand hat:

es ist ein daumendicker lederner Ochsenziemer, meterlang, dessen Ende er jetzt Raymond unter das Kinn presst und ihn zwingt, hochzusehen.

Er wiederholt noch einmal die Frage nach Max. Die Antwort Raymonds gefällt ihm nicht.
Ein Schrei, blitzartig schlägt er zu.

Der Ochsenziemer trifft Raymond zuerst am Kopf, dann an den Schultern. Raymond versucht, seine Hände schützend hochzuheben.

Schnitt auf die Sekretärin. Die tippt mit völlig ungerührter Mine weiter, als wäre gar nichts.
Lügner!brüllt Barbie Lügner!

Wir wollen doch sehen, ich werde jedes Wort aus Dir rausprügeln... murmelt er mit wutgepresster Stimme. Er umkreist Raymond.

Jedes Wort!

Jetzt schreit er.

Einzelne Worte seines Gebrülls begleiten Schläge des Ochsenziemers auf Raymonds Rücken.
Jeder Hieb schwächt Raymond deutlich. (Haben Sie den Schmerz eines Peitschenhiebes noch kennenlernen müssen? Vor 35 Jahren war das noch Erziehungsmethode. Ich versichere Ihnen: Der Schmerz ist von der Art, dass Sie die ersten Augenblicke glauben, den Verstand zu verlieren. Ihr Gehirn scheint zu kochen, die Sicherungen wollen vor Überlast durchknallen. Sie kämpfen für Augenblicke dagegen, irre zu werden.)

Barbies Gesicht ist nicht extrem wutverzerrt, es ist eher eine Versteinerung mit wenig Mimik und kalt toten Augen.

Nur in den herabgezogenen Mundwinkeln sitzt die Grausamkeit, die in Wellen immer wieder seinen Mund ergreift, während er fast flüsternd Drohungen ausstößt.

Barbie ist einer von denjenigen, die zwischen den Schlägen eine Art von Kälte zurückerwerben, bevor sie sich in den nächsten Blutrausch prügeln.

Plötzlich, mitten im Flüstern, brüllt er:

Wer ist Max?

Noch ein Moment – jetzt brechen die Dämme.


Ein Hagel von Peitschenhieben geht auf Raymond nieder.

Barbie prügelt, wohin er trifft, er läßt seinen aufgestauten Zorn ab.

Die furchtbaren Schläge machen Raymond aufbrüllen wie ein Vieh, er kann sich nicht mehr beherrschen, seine Schmerzensschreie sind so furchtbar, - sie scheinen nicht mehr aus einer Menschenkehle zu kommen.

Die Sekretärin tippt ungerührt und wacker, mit leicht zufriedener Miene.


Schnitt.

Ende der Szene

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1996-1997 Raymond – Daniel Auteuil Filmographie Auteuil, Man glaubt es nicht – aber es ist so: Heino Ferch ist Klaus Barbie, der Schlächter von Lyon.

Kommentar 2:

Zum Darstellungsstil:

wir sehen hier einen anderen mimischen Ausdruck, als bisher in den Arbeiten Ferchs. Alle Mimik liegt um Mund und Kinn, in der unteren Kopfhälfte, die Bewegung um Augen, Stirn, Schläfen, Wangen ist gänzlich eingefroren. Ergebnis: ein mimischer Ausdruck extremer eiskalter Grausamkeit, der uns noch mehr zittern macht, da er in einem so jungen glatten Gesicht liegt.