...Zeitung lesen, Blumen trinken, Kaffee gießen – und das alles gaanz alleine!, Porträt Marco Teil 1 Regie: Tom Tykwer.
Text: ignazwrobel
Ort:
Berchtesgadener Alpen im Winter, meterhohe Schneewehen flankieren die unzureichend freigefrästen Hauptstraßen, alles dick verschneit, hohe Berge, tiefe Täler, Bergwelt, gigantisch, Skiort mit Disco, Skischaukel, Berghütten, ein Winterwunderland. Wetter: mäßig, diesig, neblig, Himmel milchig trüb.
Laura kündigt Rebecca ihre Ankunft an. Rebecca wohnt in Laura´s Berghaus.
Ein nicht unteures Cabrio mit HH-Kennzeichen fährt eine Autobahn entlang, Richtung Süden. Am Steuer: Marco. Jung (ca.26), Smart - very smart. Hübsch. Blond. Braungebrannt.
Laura, auch jung, schwarze Locken, kommt mit dem Zug. René, Fotograf, zuerst mit dem Schiff und dann, viel später auf der langen Reise vom Meer zum Gebirg´ mit seinem alten VW. Durchfährt den Zielort.
Die Bar im Ort heißt Sleepers. (Jetzt haben wir beides gesehen: Winter und Sleepers: Winter-Sleepers. Winterschläfer. )
In Lauras Berghaus herrscht noch Chaos. Nix aufgeräumt, solange Rebecca allein da war. Gesamteindruck: Kuschelhöhle, Mutterbauch. Dazu Sammelsurium, Trödel, Erinnerungsstücke, Millionen kleiner geliebter und unverzichtbarer Krimskrams-Gegenstände, alles in Rot, überall gedämpftes Licht aus gedimmten Lampenschirmen, bordellmäßig gemütlicher Seidenkitsch. Weihnachtszeit. (Für unser Thema heißt das: Alarmstufe rot. Beziehungsalarm. In Ferch-Filmen eskaliert nicht selten zur Weihnachtszeit das Beziehungschaos. S.a. Mord am Meer, Der Anwalt und sein Gast, Möwengelächter. )
Draussen vor der Tür die kissenweich und puderweiss verschneite Bergwelt Berchtesgadens.
Wir blicken auf die Haustür, ihre Bretter bilden auf dem Türblatt einen schönen großen grünen Stern. Die Tür geht auf. Ein zweiter Stern erscheint: Rebecca, Becki.
Beglückend schön, Haut wie Milch und Honig, vollbusig, ihre Lippen zwei Rosenblätter, goldener Lockenkopf, frisch, eine knospende Blüte, die junge Frau, circa 23, lieb. Freut sich wie irre, als sie Marco sieht. Sofortiger Kuss mit unverzüglichem Durchstarten ins Bett. Marco kann gerade noch herauspressen: Neues Auto. Der Rest ist Schweigen, jedenfalls für uns. Das Auto bleibt unverschlossen draußen stehen, der Zündschlüssel steckt.
Stunden später.
Kamerafahrt über Becki´s Bett. Marco und Becki liegen nackt und schlafend, erschöpft vom Sex, jeder auf seiner Seite. Ihre Körper leuchten glatt und golden.
Hupp!!
Marco fährt hoch in Sitzposition, erschrocken, hellwach, als hätte er einen Knall gehört, Mund offen, atmet heftig.
Sein Blick sucht, sucht in seiner Erinnerung.
Scheiße! schnauft er.
Schnitt. Draussen.
Blick auf die grüne Stern-Haustür. Sie klappt auf, Marcos Kopf und Oberkörper schnellen ins Bild. Er ist im rotkarierten Morgenmantel, sucht, sucht noch mal zur anderen Seite.
Er vermisst etwas.
Macht ein paar Schritte vor´s verschneite Haus, knirscht gummigestiefelt und badebemäntelt durch den Schnee.
Schaut noch mal, hastig.
Dreht sich um sich selbst, - vielleicht hinter dem Schuppen…?
Nichts.
Er knurrt: scheiße, scheiße.
Kickt wütend und hektisch irgendwas am Boden zur Seite. Hilft alles nix. Der neue teure Wagen ist und bleibt weg.
Schnitt.
Marco in Beckis und Lauras Haus am Telefon.
Marco´s Redefluß ist gewehrsalvenmäßig ratternd, schnell.
Er redet nicht, er feuert Satzsalven.
Seine Bewegungsdynamik ist auch irre schnell, nervös, von ständiger innerer Ungeduld angefeuert.
Er macht tausend rasche kleine blitzartige Bewegungen, die wirken, als hätte er Hummeln im Hintern. Wirkt oft angenervt, unter ungeduldig ungnädig dunkelgrauem inneren Druck.
Seine innere Hektik und Ungeduld sind zwar anstrengend, aber wir vergeben ihm.
Warum?
Er ist hübsch.
Gute Figur, super gebaut mit langen Beinen, Knackarsch, Windhundhüften, keilförmiger Rücken, braungebrannt, blonde Stirnfransenfrisur (ja, tatsächlich: volles Haupthaar…;-))
Seine Stimme ist hell, hat einen nervös gepresst hochgepitchten Oberton, der surrt wie ein Schwarm Wespen.
Marco am Telefon
…waswaswaswaswas soll´n das überhaupt heiß´n , wer denn überhaupt „die“?
.. ..ach Sie sind ganz alleine!
Ja, das muß ja furchtbar sein, so ganz alleine!
Wirft einen pseudoverzweifelten Blick zur Decke.
Ja, wie schaffen Sie´n das den ganzen Tag?
Er stützt eine Hand lässig in die Hüfte. Die Kamera umfährt ihn. Im Hintergrund sehen wir Laura und Rebecca am Küchentisch sitzen. Sie hören zu. Marco feuert ins Telefon.
..Bütterchen essen, Zeitung lesen, Blumen trinken, Kaffee gießen, n´bißchen Nase popeln – UND ALLES GAAANZ ALLEINE, das is….
Klack.
Der andere hat aufgelegt.
Er reißt sich den Hörer vom Ohr. Stiert einen Moment mit zusammengepressten Lippen, knallt dann den Hörer auf die Gabel und knattert halbleise vor sich hin:
…ich brech´zusamm`!
Das kann doch alles nich´wahr sein, warum bin ich bloß eingeschlafen.
Hechtet gleich zum Kühlschrank, um sich mit irgendwas abzureagieren. Ein Sandsack wäre jetzt ideal. Gibt´s aber nicht. Reißt die Kühlschranktür auf und stopft sich das Vorratssück Emmentaler in den Mund. Beißt ab, kaut wütend darauf herum. Knallt die Kühlschranktür. Ist zu.
Die Mädels sitzen quasi schon fast geduckt am Tisch, kauen und verkneifen sich ein Kichern, decken ihr Grinsen vor ihm ab.
Er ist einfach komisch in seiner Wut.
Er merkt es nicht, ist nur geladen und wütend. Seine teure nagelneue Karre ist geklaut. Schnauft kiefermahlend Wut ab.
Jetzt fühlt er endlich auch, dass er komisch wirkt.
Todernst, fixiert die Mädels: Ha. Ha.
Rebecca Jetzt wart´s doch erstmal ab! Vielleicht hat nur n´Spinner ´ne Runde gedreht und das Auto dann irgendwo stehn´ lassen.
Marco kaut hektisch.
Laura Was war´n noch in dem Auto?
Marco angestaut, sarkasmus-geladen, nickt:
Mm wahrscheinlich.
Klamotten.... Weihnachtsgeschenke, alles mögliche.
Er wirkt wie adrenalingeboostert, als hätte er zwei Finger in der Steckdose.
Zu sich selbst:
Ich muss da hin, der Typ steht unter Valium!
Er schmeißt das Käsestück auf den Tisch, rennt zur Küchentür raus.
Von draußen zu Becki: ich nehm´ Dein Auto, ja?
Becki, noch frühstückend: ich muss doch gleich zur Arbeit!
Marco kommt zurück in Jacke. Dann mach´ schnell. Komm, komm, ..
Becki lässt sich scheuchen. Sie nimmt den letzten Bissen im Aufstehen, rennt geduckt startend zur Tür, um sich anzuziehen.
Laura, allein mit Marco, Becki ist in der Diele. Nach einem Moment Pause:
Warum hast´n Schlüssel eigentlich stecken lasssen?
Marco wollte schon raushechten, dreht sich zurück, starrt Laura vernichtend an.
If looks could kill, she were dead right now. Feuert einen wieso-denn-wohl, ich-Tarzan- Becki-Jane- Blick …. kapiert? nach der armen Laura.
Schnitt. Szene in der Skischule.
Rebecca und Marco arbeiten beide für Gerd´s Skischule, Becki als Disponentin im Büro, Marco als Skilehrer.
Dienstbeginn.
Vier Schüler warten, Becki muss sie hinhalten, Marco ist nicht da.
Tür auf.
Marco in Skilehrerklamotten und Sonnenbrille.
Tschuldigung Tschuldigung Tschuldigung, Tschulding,
Becki: Und?
Marco reißt – zack – seinen Dienstplan vom Klemmbrett.
Wenn einer auf die Piste pinkelt, gibt´s ne Großfahndung!
Aber n´geklauter Wagen – das is für die wie..wiewie…
Schaufelt seine Skistiefel aus dem Spind ..wie ne Ufolandung .
Schnitt.
Blick auf Becki. Sie steht an die Wand gelehnt und hört ihm zu, ernst.
Marco aus dem Off zitiert einen bayerischen Polizisten, in kollerndem Urbayerisch:
Wos host g´sogt, a Auto, wia, wia, wos a Aauto mied via Reedan oda woos? (alle Achtung, well done - inclusive rollendem Zungen-R!)
Becki ist wachsweich. Er kann sie zum Lachen bringen.
Er hastet an ihr vorbei, wieder in staubtrockenem Hochdeutsch, getrieben, schnell:
Die Schlüssel!
Er hält ihr seinen Körper hin, in beiden Händen seine Skistiefel. Rebecca greift tief in die Taschen seiner Jacke und ergräbt sich die Autoschlüssel.
Er täuscht blitzartig und sehr charmant einen Luftkuss für Becki an, die Schüler stehen direkt hinter ihm jenseits der Theke. Er taucht unter der Theke durch und:
So, auf geht´s! lässt seine Skischüler hinter sich hertrappeln.
Sweet sweet seducing young man, könnte alles so schön sein.
Is aber nicht. Warum? Kommt noch.
Vorgriff:
Rebecca ist Übersetzerin von Romanen.
Wir dürfen ein Stückchen Text mit anhören, das sie an einem ruhigen Nachmittag, als sie allein in der Wohnung ist, übersetzt.
Der Text zeichnet ihre Gefühle für Marco und lässt bereits anklingen, dass sie und er auseinandergerissen werden:
As the moisture flowed into droplets on the glass
and her own eyes were dry
she knew that she had loved him.
She had loved him for the smell of the sun
and the salt on his body
and the smoothness of his skin.
But she had also loved him for himself.
Fallible and guilty.
And it was this self which was now lost.
There was an ache in the back of her throat,
needing moisture
but remaining dry.
So ist sie: Rebecca.
<< Home