Mittwoch, September 07, 2005

"...alles ausgelöscht." Der Unhold. Porträt Rauffeisen Teil 4, Regie Volker Schlöndorff, Drehbuch: Jean-Claude Carrière, Volker Schlöndorff, 1995-96










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"...alles ausgelöscht." Der Unhold. Porträt Rauffeisen Teil 4, Regie Volker Schlöndorff, Drehbuch: Jean-Claude Carrière, Volker Schlöndorff, 1995-96


Text: ignazwrobel

Der Unhold Teil 4 - Porträt Rauffeisen.

Sie Schwein! Verräter...!

Der Burgherr der Zitadelle Kaltenborn, Graf von Kaltenborn, wurde ausquartiert. Die Besatzung seines Stammsitzes durch die Napola hat ihn in einen einzigen Raum seiner Stammburg zurückgedrängt. Dort lebt und wohnt er jetzt, umgeben von persönlichen Dingen, die ihm wichtig sind.

Auch er sitzt, wie anfangs Rauffeisen, an einem Schreibtisch.

Die hohe Lehne, die seinen Stuhl hinterfängt, trägt jedoch kein imperiales Signet der neuen Macht.

Sie zeigt, über die gesamte Lehnenfläche in mittelalterlicher Technik punziert, das Wappen derer von Kaltenborn. Von Kaltenborn ist alter Adel. Seine Vorfahren waren schon im 12. und 13. Jh. an den Kreuzzügen ins Heilige Land zur Befreiung der heiligen christlichen Stätten beteiligt.

Von Kaltenborn schreibt in sein Tagebuch, streicht eine Seite durch – wieder ein Tag vorbei – Er ist privatim, nur ein weisses Hemd ohne Kragen, Hosenträger, keine Jacke, beinahe im Déshabillé.

Plötzlich -im off- ein wütender Schrei:

Kaltenborn!

Abel, der Kaltenborn aufwartet, schrickt zusammen.

Durch den gotischen Spitzbogen eilt Rauffeisen herein, von einem Adjutanten begleitet, aufs höchste erregt und wütend. Direkt vor Kaltenborns Schreibtisch hält er hart an, beugt sich vor und sagt mit vor Wut belegter Stimme:

Sie Schwein, Verräter...

Kaltenborn geht um den Tisch herum, ungerührt, um seine Jacke anzulegen. Rauffeisen tobt und schwadroniert weiter.

Verlogener Adel und verlogene Tradition! Hätt` ich Sie nur schon früher ans Messer geliefert, Sie kamen mir schon immer verdächtig vor. ..junge Männer diesem ekelhaften Schmutz auszusetzen, ich sollte kurzen Prozess machen.

Abel, halb hinter einer Säule versteckt, sieht die drei. Rauffeisen von hinten, Kaltenborn, sehr ruhig, gefasst, im Profil, im Hintergrund in militärischer Haltung der Adjutant Rauffeisens.

Ohne jede Vorwarnung hebt Rauffeisen die Waffe gegen Kaltenborn.

Nahaufnahme Rauffeisen

Sie sind Teil der Verschwörung!Wieder ist seine Stimme vor Wut belegt.

Kaltenborn regelt die Sache mit Stil: Ich stehe zur Verfügung. Bitte... entschuldigen Sie mich.
Er bahnt sich einen Weg an der gezückten Waffe vorbei, wendet Rauffeisen den Rücken. Dieser muss die Waffe wohl oder übel senken.

Kaltenborn zieht sich an.

Rauffeisen ruft Abel zu, der eine Kanne Wasser in der Hand hält:

Er wird kein Wasser mehr brauchen. Kein Bad wäscht diese Schuld ab.

Er schießt zwei wütende Blicke in die Umgebung und eilt mit schnellen Schritten hinaus. Seine Begleitung eskortiert ihn, der Letzte sichert den Ausgang mit Maschinengewehr.

Durch den Saal schallt die Stimme Rauffeisens nach:

Verrecken soll er, aufgehängt an einer Klaviersaite.

Schnitt.

Unser Bild von Rauffeisen hat sich schlagartig völlig verändert. Seine Jovialität ist ausgelöscht. An ihrer Stelle steht ein harter, hasserfüllter, zu allem entschlossener fanatischer Exekutor des Mörder-Regimes.

Hof mit SS-Jungmannen in Schwarz, alle angetreten zum Appell.

Rauffeisen trägt einen schwarzen, fast bodenlangen respekteinflößenden SS-Ledermantel, der seine Silhouette vergrößert. Während er spricht, streift er schwarze bösartige Lederhandschuhe über. Das ganze wirkt wie das Anlegen einer Rüstung. Fast im Stechschritt schreitet er mit laut krachenden Absätzen die Appellinie ab.

Sein Blick ist leblos, der Mund zusammengepresst. Er doziert kalt:

Wir werden die Wehrmacht säubern von solchen Elementen, bis in die höchsten Ränge! Der Führer wurde verschont, wir danken Gott, dass ihn der Tod nicht nahm. ..

Von Kaltenborn hat inzwischen seine Staatsuniform angelegt, inklusive aller Orden und Verdienstabzeichen.

Das Vermächtnis von Generationen, unser Name, unser Erbe, unsere Vorfahren, alles, alles ...alles ausgelöscht.

Abel hilft ihm beim Anlegen des Ritterkreuzordens am Band.

Abel, meint von Kaltenborn, soll versuchen, im Chaos zu verschwinden, um sich zu retten.
Ich kann die Kinder nicht allein lassen.

Verschwinde! Alles aber auch alles wird vernichtet werden, auch die Kinder. Sie werden die Burg dem Erdboden gleichmachen.

Von Kaltenborn übergibt Abel sein Tagebuch als Geschenk. Mein Leben steht darin, Teile meines Lebens.

Seit dem Moment, da Rauffeisen hinaus ist, hören wir im Hintergrund das melancholisch-lyrische, friedvolle deutsche Volkslied „Der Mond ist aufgegangen von Matthias Claudius.“

Dieses Lied steht exemplarisch für ein anderes Deutschland, das Deutschland der Dichter und Denker.

http://www.volksliederarchiv.de/cms/modules.php?name=News&file=article&sid=299

Wir hören diese Strophe:

Seht ihr den Mond dort stehen
Er ist nur halb zu sehen
Und ist doch rund und schön
So sind wohl manche Sachen
Die wir getrost verlachen
Weil unsere Augen sie nicht seh'n

Von Kaltenborn steht jetzt im Hof vor dem Wagen, der ihn wegbringen wird, zu seiner Exekution. Kaltenborn war mitverantwortlich für das Attentat auf Hitler.

Kindergesichter der SS-Jungmannen, die dem Vorgang beiwohnen.

Nahaufnahme seines alten energievollen Charakterkopfes, graues Haar, strahlend blaue Augen, ruhig und gefasst. Sein Blick hoch zu den Burgmauern, seiner Heimat, ist untermalt von der sanften Tenorstimme des Sängers, der in diesem Moment singt:

Weil unsere Augen sie nicht seh'n

Der Text interpretiert von Kaltenborns Blick.

Schnitt. Totale von schräg oben.

Die schwarze Limousine fährt ab, zwischen den angetretenen Knaben hindurch. Am Schlag Rauffeisen in seinem SS-Mantel, breitbeinig, die Hände auf dem Rücken verschränkt.
Schnitt. Geschäftigkeit im Burghof.

Abel erzählt im off:

Ende des Sommers wurden die Ältesten eingezogen und an die Front geschickt, die nicht mehr weit weg war. Rauffeisen ging mit ihnen. Frau Netta und ich blieben zurück, um uns um die Jüngeren zu kümmern.

Wir sehen Rauffeisen ein letztes Mal in seiner normalen Umgebung. Wir sehen ihn kommandierend, dann fährt in einem Landrover weg, Abel noch im letzten Moment, weiter so zurufend.

Die Katastrophe wird linear ihren Verlauf nehmen, die Russen werden diese Burg überrollen.


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Graf von Kaltenborn - Armin Mueller-Stahl Biografie, Frau Netta - Marianne Sägebrecht Filmographie, Rauffeisen - Heino Ferch 1995/96