Freitag, November 13, 2009

Filmszenen I ...mir nicht der süße Name: Kind...Teil 2. in: Die Räuber. Heino Ferch - Grimm. Buch: Friedrich Schiller 1782



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Bildquellen und Bildrechte: www.daserste.de und Volkstheater Wien, Lalo Jodlbauer



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...mir nicht der süße Name Kind....in: Friedrich Schiller: Die Räuber. 3. Akt, 2. Szene. Heino Ferch - Grimm




Inzwischen hat die Bande eine Stadt niedergebrannt, um Räuber Roller zu befreien und eine Schlacht gegen das königliche Militär in den Wäldern gewonnen. Roller ist in der Schlacht ums Leben gekommen.
Ort: Gegend an der Donau. Abendstunde.
Bildquelle und Bildrechte: www.hicker.de
Die Räuber gelagert auf einer Anhöhe unter Bäumen, die Pferde weiden den Hügel hinunter.
Karl Moor.

Hier muß ich liegen bleiben. (Wirft sich auf die Erde.)

  Meine Glieder wie abgeschlagen. Meine Zunge trocken wie eine Scherbe. (Schweizer verliert sich unvermerkt.) Ich wollt' euch bitten, mir eine Handvoll Wassers aus diesem Strome zu holen, aber ihr seid alle matt bis in den Tod.




Schwarz.  

Auch ist der Wein all[e] in unsern Schläuchen.

Karl Moor.

 Seht doch, wie schön das Getreide steht! - Die Bäume brechen fast unter ihrem Segen. - Der Weinstock voll Hoffnung.

Grimm.

Es gibt ein fruchtbares Jahr.


Karl Moor.  

Meinst du? - Und so würde doch ein Schweiß in der Welt bezahlt. Einer? - - Aber es kann ja über Nacht ein Hagel fallen und Alles zu Grund schlagen.

Schwarz. Das ist leicht möglich. Es kann Alles zu Grund gehen, wenig Stunden vorm Schneiden.

Karl Moor. Das sag' ich ja. Es wird Alles zu Grund gehn. Warum soll dem Menschen Das gelingen, was er von der Ameise hat, wenn ihm Das fehlschlägt, was ihn den Göttern gleich macht? - oder ist hier die Mark seiner Bestimmung?

Schwarz. Ich kenne sie nicht.

Karl Moor. Du hast gut gesagt und noch besser gethan, wenn du sie nie zu kennen verlangtest!
Bruder - ich habe die Menschen gesehen, ihre Bienensorgen und ihre Riesenprojecte - ihre Götterplane und ihre Mäusegeschäfte, das wunderseltsame Wettrennen nach Glückseligkeit; -
Dieser dem Schwung seines Rosses anvertraut - ein Anderer der Nase seines Esels - ein Dritter seinen eigenen Beinen; 




dieses bunte Lotto des Lebens, worein so Mancher seine Unschuld und - seinen Himmel setzt, einen Treffer zu haschen, und - Nullen sind der Auszug - am Ende war kein Treffer darin.
Es ist ein Schauspiel, Bruder, das Thränen in deine Augen lockt, wenn es dein Zwerchfell zum Gelächter kitzelt.



Schwarz. Wie herrlich die Sonne dort untergeht!

Karl Moor (in den Anblick versenkt). So stirbt ein Held! - Anbetenswürdig!

Grimm. Du scheinst tief gerührt.

Karl Moor. Da ich noch ein Bube war - war's mein Lieblingsgedanke, wie sie zu leben, zu sterben wie sie - (mit verbissenem Schmerz.) Es war ein Bubengedanke!

Grimm. Das will ich hoffen.

Karl Moor (drückt den Hut übers Gesicht). Es war eine Zeit - Laßt mich allein, Kameraden!

Schwarz. Moor! Moor! Was zum Henker? - Wie er seine Farbe verändert!

Grimm. Alle Teufel! was hat er? wird ihm übel?

Karl Moor. Es war eine Zeit, wo ich nicht schlafen konnte, wenn ich mein Nachtgebet vergessen hatte -
Grimm. Bist du wahnsinnig? Willst du dich von deinen Bubenjahren hofmeistern lassen?

Karl Moor (legt sein Haupt auf Grimms Brust). Bruder! Bruder!

Grimm. Wie? sei doch kein Kind - ich bitte dich -

Karl Moor. Wär ich's - wär ich's wieder!

Grimm. Pfui! pfui!

Schwarz. Heitre dich auf. Sieh diese malerische Landschaft - den lieblichen Abend.

Karl Moor. Ja, Freunde! diese Welt ist so schön.

Schwarz. Nun, das war wohl gesprochen.

Karl Moor. Diese Erde so herrlich.

Grimm. Recht - recht - so hör' ich's gerne.

Karl Moor (zurückgesunken). Und ich so häßlich auf dieser schönen Welt - und ich ein Ungeheuer auf dieser herrlichen Erde.

Grimm. O weh, o weh!

Karl Moor. Meine Unschuld! meine Unschuld! - Seht! es ist Alles hinausgegangen, sich im friedlichen Strahl des Frühlings zu sonnen - Warum ich allein die Hölle saugen aus den Freuden des Himmels? - Daß Alles so glücklich ist, durch den Geist des Friedens Alles so verschwistert! –
Die ganze Welt eine Familie und ein Vater dort oben - Mein Vater nicht - ich allein der Verstoßene, ich allein ausgemustert aus den Reihen der Reinen - mir nicht der süße Name: Kind - nimmer mir der Geliebten schmachtender Blick - nimmer, nimmer des Busenfreundes Umarmung.
(Wild zurückfahrend.)
 
Umlagert von Mördern - von Nattern umzischt - angeschmiedet an das Laster mit eisernen Banden - hinausschwindelnd ins Grab des Verderbens auf des Lasters schwankendem Rohr - mitten in den Blumen der glücklichen Welt ein heulender Abbadonna!

Schwarz (zu den Übrigen). Unbegreiflich! ich hab' ihn nie so gesehen.

Karl Moor (mit Wehmuth). Daß ich wiederkehren dürfte in meiner Mutter Leib! daß ich ein Bettler geboren werden dürfte! – 



Nein! ich wollte nicht mehr, o Himmel - daß ich werden dürfte wie dieser Taglöhner einer!
O ich wollte mich abmüden, daß mir das Blut von den Schläfen rollte - mir die Wollust eines einzigen Mittagsschlafs zu erkaufen - die Seligkeit einer einzigen Thräne.



Grimm (zu den Andern). Nur Geduld, der Paroxysmus ist schon im Fallen.

Karl Moor. Es war eine Zeit, wo sie mir so gern flossen - o ihr Tage des Friedens! du Schloß meines Vaters - ihr grünen schwärmerischen Thäler! 



O all ihr Elysiums-Scenen meiner Kindheit! - werdet ihr nimmer zurückkehren - nimmer mit köstlichem Säuseln meinen brennenden Busen kühlen? – 



Traure mit mir, Natur - Sie werden nimmer zurückkehren, nimmer mit köstlichem Säuseln meinen brennenden Busen kühlen. - Dahin! dahin, unwiederbringlich! -



Schweizer mit Wasser im Hut.
Schweizer. Sauf zu, Hauptmann - hier ist Wasser genug, und frisch wie Eis.



Kommentare:
1. Mehrere Male finden wir in HF-Filmen den Topos des Rückkehrers, der seinem Ursprungsort durch Verfehlungen jedoch entfremdet ist und keine Aufnahme mehr findet. (z.B.: Das Konto und Hölle im Kopf)

2. Die Szene und die Rolle Grimm: zum Protagonisten Karl Moor: „Bist du wahnsinnig? Willst du dich von deinen Bubenjahren hofmeistern lassen?“ „Sei kein Kind, ich bitte Dich!“ Die Haltung von Grimm Karl gegenüber entspricht exakt derjenigen von Jan Ottmann seinem Freund Gregor Luckner in Auf ewig und einen Tag gegenüber, als er sagt: Wie lange willst Du Dich von Deiner Vaterproblem einengen lassen. Werde endlich ein Mann! (Szene am Strand, vor dem Kampf im Wasser) . Wir erwähnten bereits, dass der Drehbuchautor von Aeu1T u.E. auf klassische Dramen zurückgreift.


3. Die obige Szene ist im Erzählstrang Karl Moor nach fast ununterbrochenen Action-Szenen der Moment des Innehaltens, der Ruhe, des Rückblicks, man ruht auf der Wiese– Konstruktionsprinzip im klassischen Drama wie im Filmdrama. Gleichzeitig ist dieser Ruhepunkt der Tiefpunkt unseres Helden Karl Moor. Diese Erde so herrlich, meint er, und er selbst darin ein hässliches, weil schuldiges Ungeheuer. Er fühlt Reue. Er fühlt, er glaubt, den Weg zurück in den Stand der Unschuld (= der Kindheit) verbaut. Seine Depression ist gleich am Anfang der Szene metaphorisch durch das Bild der jederzeit durch Schlag zerstörbaren Getreideernte ausgedrückt.


4. Auch die Handlungsstruktur - das Niederbrennen der Stadt, um ein Bandenmitglied zu befreien, ist in der Baader-Meinhof-Komplex , zwei Jahrhunderte später, identisch vorhanden. Es ist hier die Entführung des Flugzeugs Landshut nach Mogadischu, um die Freilassung der Bandenmitglieder zu erpressen
5. Meine Zunge trocken wie eine Scherbe. s.a. die Hiobstelle des AT, die HF in "Ostern" vorliest" Hiob klagt ebenfalls über das Ausgestoßensein.

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30 Oct 2015.

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