"..ich würde gerne mit Dir reden..." Heino Ferch als Anton Glauberg in: Mord am Meer. Glaubergs Familie Teil 3a, Regie: Matti Geschonneck, 2004-2005
..ich würde gerne mit Dir reden...
Das Telefonat.
Von einem Berliner Fotografen, einem alten Bekannten, hatte Glauberg Bilder seines verstorbenen Bruders mitgenommen.
Berlin. Straßenszene. Nähe Funkturm. Nacht.
Glauberg geht in straffem Tempo an einem Auto vorbei.Als er den Wagen schon im Rücken hat, bleibt er plötzlich stehen, dreht sich schnell um und schlägt dem Auto mit weit ausholender wuchtiger Geste und flacher Hand auf´s Dach, so dass es laut kracht.
Ohne hinzusehen, dreht er sich weg und geht. Er hatte seine Bewacher bemerkt und sie seinen Ärger wissen lassen. Die beiden Insassen drehen sich zueinander und reden irgendwas, kopfschüttelnd...
Schnitt.
Eingang Hotel Funkturm, das schäbige Hotel, in dem Glauberg und Reinhardt wohnen.
Schnitt.
Wir sehen Glauberg in seinem Zimmer. Es ist dunkel, nur Licht von der Straße erhellt schwach den Raum, links das schäbige Siebzigerjahre-Holzbett, hinten das Fenster, darunter ein großer häßlicher Radiator, ältlichmuffige Stehlampe, ausgeschaltet, der Boden mit fusel-lambrusco-roter Auslegware bedeckt, von ausgesuchter Scheußlichkeit, das ganze Bild von „eindrucksvoller Drögität.“
Von rechts kommt Glauberg ins Bild, wie sehen seinen Rücken, er trägt Cordhose , sein kariertes Hemd ist offen, graues T-Shirt darunter. Mit der Linken hält er sein Handy ans Ohr, beugt sich angespannt wartend nach vorne.
Auf dem Bett liegt sein Koffer, darauf ein brauner Umschlag.
Schnitt.
In Glauberg´s Ex-Haus: Vor uns das schwarze Telefon mit AB der Glaubergs, rechts daneben läuft der Fernseher. Die Kamera bleibt auf dem Telefon, wir hören im Wechsel eine Frauen- und eine Kinderstimme, Sylvia und Felix:
Hallo hier sind Sylvia... .......und Felix Glauberg.
....Nach dem Piep können Sie loslegen....
...wir rufen dann zurück!“
Totale.
Wir sehen Sylvia beim Fernsehen auf der Couch, sie hat es sich in einem warmen Pulli und mit einer Decke über den Beinen bequem gemacht. Als der AB anläuft, schaltet sie den TV-Ton per Fernbedienung ab.
Sie lauscht der Stimme im AB, eine Männerstimme:
Die Stimme klingt, als wolle sie optimistisch wirken:
..neuer Text!...... hallo! .. ich weiß, es ist spät,....
man hört den Mann bedrückt einatmen.
Sylvia, geh doch mal ran....!
Sylvia schaut betreten vor sich hin.
Schnitt.
Close up auf Glauberg. Er steht dicht am Fenster seines Hotelzimmers, direkt hinter der abstoßend geschmacklosen Großmuster-Gardine.
Er wirkt verkrampft, hat ein Hand unter die Achsel des anderen Armes geklemmt, an den Leib gepresst, um den Arm, der das Handy ans Ohr halten muss, abzustützen.
....ich bin jetzt in Berlin und die Dinge entwickeln sich nicht so, wie sie sollten.
Schnitt.
Großer geschlossener Abhörwagen. Die Mannschaft des BKA schneidet mit, man hört unbarmherzig laut Glauberg´s Stimme über den Raumlautsprecher.
Glauberg´s Stimme füllt den Abhörwagen.
Er sagt, eigentlich leise: .. ich hab´Dir, glaub´ich , nicht erzählt, daß ich schon mal hier war...
Schnitt.
Glauberg nah:
...öfter...
Er blickt hinunter auf die Straße. Dort steht der Wagen mit seinen Observanten.
..und... er zögert, will weitersprechen.. ahm....
Schnitt.
Sylvia sitzt da, hört Glauberg´s Stimme aus dem AB zu:
....das mit Felix, das tut mir leid.
Sylvia antwortet in den Raum hinein, vor sich hin:
...was meinst Du, wie leid mir das tut.
Wir hören aus dem AB: ..ich würde gerne mit Dir reden...
Glauberg´s Stimme klingt jetzt atemlos, gepreßt, so, als stünde er kurz davor, die Kontrolle zu verlieren.
Sylvia hält ein Weinglas in den Händen, starrt darauf, sie bewegt sich nicht.
...ich würde gerne versuchen....
Seine Stimme faßt sich wieder.
Ich würde gerne versuchen, Dir zu erklären...wenn ich das überhaupt kann....
Schnitt.
Close up Glauberg
...ich hatte meinen Vater nur als Onkel Manfred kennengelernt.
Er sieht sehr bedrückt aus, preßt die Lippen zusammen.
Die Dunkelheit, die Verkrampfung, die häßliche extrem trostlose Umgebung läßt eine Aura von Vereinsamtsein um ihn entstehen. Sein Blick geht resigniert zu Boden, in sich verkrampft.
Nach kennengelernt wirkt er wie jemand, dem plötzlich das Herz wehtut, dem Tränen kommen, die er im letzten Moment noch wegdrückt.
Meine Mutter hatte ihn immer so vorgestellt...
Er dreht sich vom Fenster weg.
Wir sehen, wie er sich auf das Bett setzt. Um ihn herum grotesk häßliche Geschmacklosigkeit, grausige Tapete, schwere häßliche Vorhänge aus 70er Jahre-Stoff, grauenhaftes AWACS-Gebirgskitschbild an der Wand, mitten in Berlin.
Da, in all das hinein sagt er die Worte:
Sie hat ihn geliebt und wurde dafür verachtet...
Die häßlich anonyme, verstaubt-versiffte Umgebung und die dramatischen Worte bilden einen kaum zu ertragenden Gegensatz.
Glauberg fällt es schwer, weiter zu reden. Er macht eine Pause, blickt zu Boden, sammelt neue Kräfte.
...und als mein Vater wußte, daß er sterben wird, kam er zu mir und weinte....
Die Innenwelt dieses Mannes, der gerade über Cornerstones seinen Lebens redet und diese Außenwelt hier, in der sich sein Körper befindet, sind zwei Welten, Sphären, Räume, die in keinem Kontakt zu einander stehen dürften. Weil sie es tun, ist diese Szene furchtbar.
..und...
Schnitt.
Überwachungswagen. Rechts der Rücken eines Abhörenden, frontal vor uns der Stimmaufzeichnungs-Bildschirm des BKA, der Glaubergs Stimme in Frequenzen zerlegt als springende Vertikalbalken zeigt.
Die Balken visualisieren den Text :
..als ob er eine Art Absolution erwartet hätte .. und...
Wieder das unerträgliche Auseinanderklaffen zwischen Hoch-Persönlichem, das sich Glauberg in einem Ton entringt, der uns mitleiden läßt und der eisig kalten technokratischen Beobachtung dieses Menschen, dieses zerquälten Menschen durch Überwacher.
Das persönlich gesprochene Wort, das den Sprechenden an die Grenzen seiner Selbstbeherrschung trägt, entstellt zu technischen Tonfrequenzaufzeichnungen.
Das ist von einer Grausamkeit, die Übelkeit erregt.
Plötzlich – wir sehen das betroffene Gesicht des BKA-Chefs, der zuhört- ist das AB-Band zu Ende, die Aufnahmezeit abgelaufen.
Felix und Sylvia schnarren vom Band:
..danke für Ihren Anruf – bis bald....
Schnitt.
Close up Glauberg:
…scheisse… er schließt das Handy und wirft es auf das Bett.
Er blickt angespannt vor sich hin, atmet dann aus und sieht nach dem Umschlag auf seinem Koffer. Es sind die Fotos, die seinen Bruder zeigen. Er nimmt sie aus dem Umschlag und sieht sie sich an.
Plötzlich Totale.
Wir werden zurückgedrängt. Hinten im Raum sitzt Glauberg auf dem Bettrand, die Fotos in der Hand, er beugt sich nach vorne, stützt die Ellbogen auf, läßt die Fotos sinken, eine Hand fährt an die Stirn, an die Nasenwurzel.
Wir werden gezwungen, seinen Atem zu hören.
Glauberg beißt die Zähne zusammen. Trotzdem hören wir, daß seine Verkrampfung in Weinen übergeht.
Wir sind zehn Schritte von ihm entfernt und müssen zusehen, wie Glauberg immer mehr geschüttelt wird von resigniert verzweifeltem Weinen.
Wir schämen uns, diesem Moment tatenlos voyeuristisch beizuwohnen, wir haben das Gefühl, es steht uns eigentlich nicht zu, diesen Menschen einfach so aus der Totale zu beobachten.
Gleichzeitig beginnt unser Herz schwer zu werden, zu schmerzen, der Moment, da wir davorstehen und nicht tröstend eingreifen können, belegt unser Herz wie Blei.
Der Moment zieht und zieht sich. Glauberg weint immer mehr.Druck entsteht in unserer Brust, die Situation scheint unerträglich.
Ach ach
Dann erlöst uns ein Schnitt.
Totale.
Vogelperspektive.
Berlin Panorama im Dunst. Es ist Morgen. Funkturm, Friedensengel, Reichstagskuppel, ein riesiger orangefarbener Glutball am Horizont, die Luft wie milchig patiniertes Silber. Eos, die Morgenröte, verklärt das Panorama - rosenfingrig, safrangewandet.
Die Sonne geht auf.
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