„...überleg es Dir noch einmal, Magda!“ in: Der Untergang. Heino Ferch als Albert Speer. Produktion Bernd Eichinger, Regie: Oliver Hirschbiegel, 2003
„...überleg es Dir noch einmal, Magda!“
Albert Speer geht im Führerbunker von Raum zu Raum, um sich von den Personen, welchen er nahestand, -und zuletzt auch von Hitler selbst-, zu verabschieden.
Die Reichskanzlei mit dem darunterliegenden Bunker ist bereits von allen Seiten von den Russen eingekreist. Ununterbrochen ist schwerer Beschuß zu hören.
Es ist mittlerweile allgemein klar, dass alle sich im Führerbunker befindlichen Personen dem Feind durch Selbstmord entziehen sollen oder werden.
Speer selbst wird den Bunker noch durch das Hauptportal der Reichskanzlei verlassen.
Albert Speer ist bartlos, hat fast schwarze buschige Augenbrauen, die Pupillen seiner Augen sind opak rabenschwarz, poliert blank, wie Jettknöpfe.
Iris und Pupille sind durch ihre vollkommene Schwärze nicht voneinander unterscheidbar, die Glanzlichter winzig klein, kaum sichtbar.
Sein Blick bekommt dadurch etwas undurchschaubar Anonymes und gleichzeitig sehr Ernstes.
Speer hat kurzes schwarzes glattes Haar, an der Stirn bereits gelichtet, Fassonschnitt, nicht im Nazistil, das heißt, Schläfen und Nacken sind nicht kahlrasiert.
Er trägt zivil, weisses Hemd, Krawatte, hocheleganten Nadelstreifenanzug, Parteiabzeichen an der Brusttasche des Jackets.
Seine schlanke Figur und die in Rücken, Schultern und Nacken äußerst präzise aufgerichtete Körperhaltung verleihen seiner Erscheinung eine Aura unaufdringlicher Kultiviertheit.
Traudl Junge trifft Speer auf der Treppe. Treppe und Wände sind aus grauem Beton, alles sehr kahl, Zweckbau, Bunker.
Wir sehen beide bereits im Gespräch, als wir hinzutreten.
Amerikanische, Speer und Junge von der Seite.
Traudl Junge trägt eine weisse Bluse und einen schwarzen Rock. Sie knetet erregt ihre Hände.
Was wird denn jetzt aus uns? Gibt’s denn noch Hoffnung?
Speer dreht sich ein wenig weg, suchend, dann, nach einem kurzen Blick in die andere Richtung, mit dem er sich vergewissert, dass niemand zuhört, wendet er sich in gedecktem, aber sehr eindringlichem Ton an Traudl Junge.
Die Kamera zeigt uns jetzt im Close up in Schuss und Gegenschuss jeweils den Sprechenden.
Speer: Frau Junge, Sie sollten hier raus, bevor es zu spät ist.
Junge. Der Führer will dableiben, wir können ihn doch nicht alle einfach so allein lassen.
Sie wirkt entsetzt, atemlos und ratlos. Wir spüren eine starke verzweifelte innere Unruhe in ihr. Sie scheint kurz davor, vor Aufregung zu weinen.
Speer antwortet ihr sehr leise, immer leiser werdend, fast flüsternd am Ende des Satzes:
Bei dem, was den Führer erwartet – braucht er niemanden.
Am allerwenigsten Sie.
Von der kühlen Antwort ist Junge zuerst ein wenig zurückgedrängt. Dann löst sich ihr Ausdruck, sie hat einen neuen Gedanken, sagt mit einem angedeuteten Lächeln:
Aber der Herr Goebbels und seine Frau bleiben doch da! Die Kinder ja auch!
Very Close Up Speer.
Er sieht Junge mit einem langen Blick aus seinen schwarzopaken Jettaugen zutiefst ernst an, sagt nichts.
Dann, nach ein paar Sekundenbruchteilen, deutet er, ohne Veränderung im Ausdruck, mit einem leisen Heben und Senken des Kopfes ein Nicken an und blickt sie weiter intensiv an.
Sie beginnt, herauszuahnen, was dieser Mann ihr sagen will. Ihr Blick liest in seinen Augen, hin- und herklickend, mehr und mehr den ganzen Umfang dessen, was er ihr wortlos mitteilen will.
Als sie endlich versteht, erstirbt jede mimische Bewegung. Sie begreift, dass die Familie Goebbels den Bunker nicht lebend verlassen wird.
Sie wirft einen Blick zur zur Seite, in Richtung der Räume der Familie Goebbels, greift sich an den Hals.
Aber die Kin...
Die junge Frau kann ihre Fassung nicht aufrecht erhalten. Um sich vom Weinen abzuhalten, hält sie sich die Hand vor den Mund. Sie versteht, dass die Kinder sterben sollen.
Wir hören gleichzeitig, wie sie mit einem Räuspern versucht, sich wieder in den Griff zu bekommen. Ihre Wangen sind hochrot. Jetzt versagt ihre Stimme, sie flüstert, sieht Speer wieder an
– ich hab geglaubt, da gibt’s noch einen Ausweg - irgendwie.
Schnitt auf Speer. Sein besorgter Blick hat sich nicht verändert. Als sie ihren Kopf sinken läßt, sieht er zuerst kurz zu Boden, dann geradeaus ins Nichts.
Schnitt.
Raum von Frau Goebbels.
Sie liegt im Bett.
Es klopft.
Frau Goebbels: Herein.
Die stählerne Feuertür öffnet sich, Albert Speer tritt ein.
Er lächelt Magda Goebbels an, wir spüren eine Art verwandtschaftliche Vertrautheit zwischen beiden. Beide freuen sich, einander zu sehen.
Albert! Gruess Dich!
Speer tritt näher und setzt sich auf die Kante ihres Bettes. Magda Goebbels scheint Fieber zu haben, ihr Gesicht glänzt schweissnass. Frau Goebbels nimmt ihre linke Hand unter der Bettdecke hervor und hält sie ihm mit einer Geste, die körperliche Erschöpfung zeigt, hin.
Speer ergreift ihre Hand sachte, hält sie einen Moment und sagt dann:
Du hast Fieber!
Frau Goebbels: Mein Herz hält das nicht aus.
Sie kann kaum sprechen, ihre Stimme bricht.
Speer: Warum nimmst Du nicht die Kinder, Magda, und verschwindest von hier?
Verschwinden, - wohin denn?
Speer blickt sie an, nach einer kleinen Pause sagt er, nicht laut, aber drängend:
Ich hab Euch schon einmal gesagt...
....ich kann Euch in einem Lastkahn nach Schwanenwerder bringen....
Man kann ihn umbauen, so dass ihr euch darin verstecken könnt, bis alles vorbei ist.
Close up auf Frau Goebbels, sie hört ihm aufmerksam und erregt zu, dann deutet sie ein Kopfschütteln an.
Speer: Lange dauert es so oder so nicht mehr.
Er ist angespannt, seine Stimme ist in extremer Besorgtheit leise, beschwörend. Ein nervöser Lidschlag - dann preßt er die Lippen aufeinander.
Frau Goebbels. Ich möchte nicht, dass meine Kinder in einer Welt ohne Nazionalsozialismus aufwachsen.
Speer läßt das Gesagte einen Moment auf sich wirken. Er macht einen letzten Versuch, sagt:
Überleg´es Dir noch einmal, Magda.
Sein Lidschlag zuckt nervös, als er hinzufügt:
Die Kinder haben ein Recht auf ihre Zukunft.
Frau Goebbels kämpft mit sich, ihr Gesicht sieht verquält aus. Sie atmet stoßend, ringt nach Luft.
Frau Goebbels: Wenn die Idee des Nazionalsozialismus stirbt, gibt es keine Zukunft mehr.
Speer sieht weg von ihr, wieder zucken Lidschlag und Augenbrauen unkontrolliert nervös, die Wangenmuskulatur arbeitet, wir verstehen, dass er dabei ist, aufzugeben. Er fühlt, dass er hier an eine unüberwindliche Mauer stößt, er blickt zu Boden.
Jetzt öffnet er den Mund, wie um Luft zu holen, die Kamera fährt in die Totale, wir sehen, dass der Magda Goebbels Hand mit beiden Händen gehalten hatte. Er drückt ihre Hand noch einmal, läßt sie dann fahren.
Magda Goebbels Hand steht noch einen Moment in der Luft, so als wolle sie ihn zum Bleiben veranlassen, dann resigniert auch diese Hand. Speer steht auf und geht zur Tür. Wir sehen von hinten Schultern und Kopf einen Moment lang zögernd unbewegt. Plötzlich dreht er sich schnell, fast ruckartig, noch einmal zu Frau Goebbels um. Wir sehen in sein tief ernstes, fast fassungslos wirkendes Gesicht. Er sagt:
Ich kann nicht glauben, dass Du das wirklich willst.
Frau Goebbels hat die Augen geschlossen, sie will offensichtlich nicht mehr in dieses intensiv appellierende Gesicht sehen. Mit einer Handbewegung scheucht sie Speer weg, hinaus:
Geh, geh!
sagt sie.
Speer geht.
Close up Frau Goebbels. Wir sehen, dass sie zittert.
Als Speer draussen die Gänge des Bunkers entlang geht, ist sein Gesicht einen Moment lang eine Maske ausTrauer und Schmerz.
Ende der Szene.
2003-2004 – Heino Ferch – Albert Speer, Magda Goebbels – Corinna Harfouch Filmografie Corinna Harfouch
Filmografie Alexandra Maria Lara
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Kommentar:
Dieser Film ist ein zweieinhalb-Stunden-Dokument eines kollektiven Selbstmordes. Die obige Szene erzählt uns in der Person Albert Speers die einzige Gegenbewegung, weg vom Tod, hin zum Leben. Speer versucht, die Mutter und die sechs Kinder der Familie Goebbels zu retten.
Heino Ferch zeigt uns – wir sehen einen Moment ab von der historischen Figur, die als Rüstungsminister und Architekt der Zwangsarbeitslager zehntausendfache Schuld auf sich geladen hat – in diesem Film in dieser Szene einen Mann, der versucht, Kinder vor einem gewaltsamen Tod zu bewahren.
Fotos der Kinder
BR-CollegeRadioBeitrag über das Leben und die Schuld Albert Speers
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