Donnerstag, September 08, 2005

“..ich habe eine Andere...“: Teil 1b Kommentare. Porträt Hermes Aphroditus ( Heino Ferch ) in : Vom Suchen und Finden der Liebe. Regie: Helmut Dietl.









Bildquelle und alle Bildrechte bei Constantin Film AG, München



Kommentare

von: ignazwrobel

Kommentar 1:

Über Vom Suchen und Finden.. liessen sich leicht Hundert bis Zweihundert Seiten Kommentar füllen, hätte man den Impetus, die Handlungslinien und Symbolkomplexe des Films nur halbwegs nachzuzeichnen. Hier nur ein punktuelles Blitzlicht:

Hermes Aphroditus

Interessant ist der hohe Stilisierungsgrad der Figur Hermes Aphroditus. Wie er spricht, was er sagt, wie er es sagt, ist retro bühnenhaft und somit emotional abstrahiert.
Das ganz und gar golddurchwirkte Kostüm schafft Anonymisierung, ebenso das ‚hübsche’ aufgemalte Gesicht, durch das sehr irritierend immer wieder Bitternis und Trauer hindurchscheint.

(Die Stärke der Trauer ist ganz besonders extrem zu sehen in den Morphings, in denen das junge ein wenig traurige Gesicht von Venus oder Mimi in die untröstlich atemlos traurigen Züge des Hermes Aphroditus mutiert, der Ausdruck von Trauer sich um ein Vielfaches potenziert. Die höhere Anzahl an Lebensjahren des Hermes Aphroditus scheint eine Maßgabe für die Stärke des Ausdrucks von Trauer, hier hat die Zeit den Brunnen der Tränen weiter angefüllt. )

Immer wieder bricht die Figur Erwartungsklischees, ozilliert zwischen tuntigen Bewegungen, die ja gefallen wollen und einer beinernen Härte, -wie er Mimi aufs Bett wirft, soll leidenschaftlich sein, ist aber auch klare Ansage, dass Mimi keine Wahl haben wird;

wie er Mimi mit ausgestrecktem Arm zurückstößt, als der Hermes drängend nach Venus fragt – hat eine fast grausame Härte, die natürlich Echo darauf ist, dass Mimi sich nicht gewinnen läßt, aber darüber hinaus von einer spröden, lang angestauten Frustration erzählt, die uns irritiert.Die Stilisierung wirkt umso stärker, da Mimi, wenn er im Dialog mit Hermes ist, bei einem ‚normalen’ Alltags-Gefühlsausdruck bleibt, dessen Stil auf naturalistische Wahrhaftigkeit des emotionalen Ausdrucks hin angelegt ist. So prallt Stilisierung und Normalität aufeinander und hebt Hermes ab, dorthin, wo er hingehört, in eine Traum-Märchen-Götterwelt.

Hermes Aphroditus ist groß, wuchtig, mächtig, beeindruckend, Mimi wirkt gegen ihn zerbrechlich. Trotzdem hält Hermes , sobald er steht, seine Arme in einer Geste vor den Leib, die unsicher, suchend und wie ein Selbstschutz wirkt, er versteckt sich geradezu in der Draperie seiner goldenen Flügel, erstaunlich. Diese Haltung könnte einfach nur tuntig sein, - oder..von der emotionalen Unsicherheit des Halbgottes erzählen. In sich schon ein Wunder.

Ganz frei präsentiert sehen wir Hermes´ Körper nur einmal, in dem Moment, da er sich mit dem Objekt seiner Begierde, Mimi, vom Brunnenrand springend hinab in sein eigenes Reich begibt, dorthin, wo seine emotional-erotischen Hoffnungen liegen. In diesem Moment bekommen wir in Autopsie einen Blick auf das, was der Halbgott körperlich anbieten wird.

Warum sind Götter Götter? Kann er sich nicht selbst helfen? Der Schauspieler Heino Ferch zum Thema: er [Hermes Aphroditus] kann einem Menschen, dem er sich in Liebe hingibt, alles bieten, kann es [aber] nicht erzwingen. Das ist es, was er erfahren muss.

Für die Interpretation des Hermes Aphroditus aus unserem Themenblickwinkel hier auf Filmszenen sind viele viele viele Faktoren von Bedeutung. u.a.:

ad 1: Hermes Aphroditus ist nicht nur er selbst. Er ist auch Venus Morgenstern. (siehe morphing des Hermes Aphroditus, als er Mimi zeigt, dass Mimi nicht mit Sternchen im Bett war, sondern mit Hermes Aphroditus im Leib der Venus Morgenstern. Dieses Morphing hat m.E. nicht nur eine episch-erzählende Bedeutung für die storyline, sondern auch - ganz altmodisch -eine symbolische Bedeutung, die durch Assoziation erzeugt wird. Bilder werden gezeigt, die miteinander in Bedeutungszusammenhang treten. )

ad 2: Hermes Aphroditus ist nicht nur er selbst. Er ist auch Mimi Nachtigal. (siehe morphing aus der Gestalt des Mimi in seine eigene Gestalt zurück, unwillkürlich, sogar unwillentlich, als Venus Morgenstern durch ihre Trauer und Verzweiflung "...ach, ich habe ihn verloren... " Hermes Aphroditus´ Herz plötzlich anrührt. Nach dem Morphing geschieht es dem Gott, dass er weinen muss, unwillentlich, er wischt sich, verwundert über die Anrührung seines Herzens, eine Träne von der Wange.)

ad 3 : Konsequenz aus 1 und 2 ist, dass alles, was Venus und Mimi tun und denken, auch Hermes Aphroditus unmittelbar betrifft, projiziert in diese Beiden.

ad 4: Hermes Aphroditus wird aus menschlich dimensionierter Sicht als schwuler Zwitter, als Transe, gesehen.
Das ist unterhaltsame Oberfläche und gehört zur Abteilung Komödie.

Darunter ist - Zitat Heino Ferch: ''Hermes ein tieftrauriger Mensch'' [das tönt wie Donnerhall ]-, ''ein Gott, (...) für den (..) die größte Sehnsucht ist, die (...) ewige Liebe zu finden.'' - ''er kann einem Menschen, dem er sich in Liebe hingibt, alles bieten, kann es [aber] nicht erzwingen. Das ist es, was er erfahren muss.(....) Deshalb ist er eine zutiefst traurige und auch lächerliche Figur. ''''..er versucht [es] bis zur Lächerlichkeit, (...) er ist lächerlich und rührend. (Uff)


ad 5: Hermes Aphroditus, der Gott, der über den menschlichen Dimensionen steht, kennt für Mimi das Mittel zur Auflösung seiner Qualen. Er besitzt ein Heilmittel. Es ist die Lethe. Wasser. Wasser des Vergessens. Er schenkt Mimi dieses Wasser, läßt ihn dieses Heilmittel trinken. Du musst einfach viel Wasser trinken, Mimilein. Viel, viel Lethewasser aus dem Fluß des Vergessens, und Hermes kennt auch den anderen Weg aus dieser Pein:

...oder... dich einfach wieder neu verlieben....

Was heißt das? Hermes Aphroditus kennt alle Qualen einer Liebe (Mimi und Venus), die sich durch den Alltag auseinandergelebt hat, bei der die beiden Beteiligen jedoch nicht voneinander lassen können (er ist ja auch - siehe ad 1 und 2), aber: ER KENNT AUCH EINE LÖSUNG. Es ist: Das Vergessen und die Neue Liebe.

Musik des Films: Klasse. Die Musik ist nicht nur zur Emotionalisierung der Szenen verwendet, sondern leitmotivisch, wie in einer Wagneroper. Hermes´ hat eine ihm zugeordnete Musik, ein Schicksalsmotiv aus äh aus (hier verließen sie sie..es geht doch nichts über eine solide Halbbildung) äh Tosca? Es ertönt, als Hermes Aphroditus zum ersten Mal auftritt und es ertönt wieder, als er in Gestalt der Venus körperliche Liebe von Mimi Nachtigal erzwingt und noch einmal, als er in Mimi Nachtigals Gestalt Venus Morgenstern am Ufer des Styx zurückweist (s...ich habe eine andere....).
Dieses musikalische Motiv hat auch Text, der (der fleißige Opernbesucher hat ihn natürlich gegenwärtig) mit in die Interpretation der Figur des Hermes einzufließen hat.Die schöne, nicht veränderte Einspielung der Che faro?.. Arie,
und
Quando men vo, quando men vo soletta per la via, la gente sosta e mira e la belezza mia, quando ricerca in me.. ed asaporo allor´la bramosia sottil che dagli occhi traspira….così l´efluvio del´desio…die Arie der Mimi als Abspann, direkt nachdem wir gesehen haben, dass Venus ihre Schönheit durch Alter verloren hat, super, Meet me tonight in dreamland under the silvery moon (mit der großartigen Stimme einer 50er Jahre Diva- Judy Garland, der Somewhere over the rainbow-Interpretin) als Hermes mit Mimi tanzt, geil , die dramatischen Tosca-und Butterfly-Motive - suppi.


Kommentar 2 : Schlüsselszene

Es ist - scheinbar - unmöglich, EINE Schlüsselszene in diesem Film festzumachen. Schlüsselszene ist in diesem Fall der komplette Film, alles, was Mimi und Venus betrifft, man müsste den gesamten Dialogtext der Figuren Mimi, Venus und Hermes Aphroditus hier wiedergeben.

(...Hermes, Mimi und Venus sind nicht nur für den Erfinder dieser durch und durch emblematischen Geschichte Dietl Facetten eines alter ego. )

Ausweg aus diesem Schlüsselszenendilemma ist vorerst der im obigen Text gezeigte. Die obige Szene ist sozusagen eine Anti-Schlüsselszene, allerdings nur bis zur hier gezeigten Stelle. Sie ist das, was ablaufen müsste, damit der liebeskranke Mimi gesunden könnte und der liebeskranken Venus die Chance geben könnte, auch zu gesunden.

Die Prognose des FIlms für Venus ist, dass sie sich nicht weiterbewegen wird, sie ist im Alter wieder allein, hat ihr Herzensbiografie nicht mit einem anderen Mann weitergeschrieben, den Anderen wieder aufgegeben.

Die Prognose für Mimi ist, dass er sich mit zärtlich-nostalgischer, aber innerlich erwacht-distanzierter Zuneigung (die Distanzierung ist geboren aus der Wahrnehmung des Alterns, des Gealtertseins seiner großen Liebe) an Venus erinnern wird. Er ist in eine andere, neue Welt gegangen (Zitat Hermes: [an einen] Ort der Ruhe, des Friedens und der Harmonie), er ist - der Sieger.

''Es ist schwer, Veränderungen anzunehmen, aber auch befreiend.''svb

Kommentar 3: Genre

m.E. ist dieser Film nicht problemlos in das Genrefach Komödie einzuordnen, es ist eine Tragikkomödie, eine Parabel, ein Märchen, eine Aneinanderreihung emblematischer Bilder, fellinesk, keinesfalls eine Slapstick-Komödie.

Wer mit dieser Erwartung an den Film herangeht, kann nur enttäuscht werden. Ich verstehe auch nicht die Hauptkritik, die immer wiederholt wurde, dass der Film scheinbar keine Richtung hat. Er erzählt in Venus und Mimi und in Theo und Helena über zwei Formen der Liebe.

Und er erzählt davon, dass das Altern, das Gealtertsein die glühende Leidenschaft zu einer zart freundschaftlich sentimentalen Erinnerung mutieren läßt. Mimi darf diese Erfahrung machen, als er seinen Dreistundenausgang nach Berlin-Mitte wahrnimmt.

Der Film spricht sehr stringent in Symbolen. Alles ist wichtig.

Ich weiß nicht, ob dem Regisseur das sehr gefallen würde,- aber die Konstruktion des Films, das Ineinanderwirken von Menschlichem und Göttlichem, gewürzt mit witzigen, sehr menschelnden Dialogen, hinterlegt von einer "Großen Wahrheit", das erinnert mich alles sehr an Wiener Volkstheater, Ferdinand Raimund, Johann Nestroy, sozusagen Wiener Volkstheater des 21. Jh.s. Das soll nicht pejorativ sein, ich liebe Ferdinand Raimund, wie z.B, es ist, glaube ich, in: Der Bauer als Millionär, Jugend und Alter (der in dieser Szene göttliche Otto Schenk, Salzburger Festspiele anno xy) einander gegenüberstehen, großartig. - Wenn der Film nicht gefallen hat, dann hat er ein Publikumsproblem, kein Qualitätsproblem. Ähnlich wie der schlöndorffsche "Unhold" . Der Film ist großartig, aber das Publikum war zu diesem Zeitpunkt nicht empfänglich für den Inhalt.

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