Sonntag, September 04, 2005

"....haben Sie keine eigene Frau?" in: Todfeinde. Teil 3. Regie Oliver Hirschbiegel, Buch Don Bohlinger, 1998









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"....haben Sie keine eigene Frau?" in: Todfeinde. Teil 3. Regie Oliver Hirschbiegel, Buch Don Bohlinger, 1998


von: ignazwrobel

..warum sind Sie eigentlich Polizist geworden?

Szene im Schnellrestaurant: Max´ Vater

Peter Gerlach, der Senior Fahnder vom Bundeskriminalamt, etwa fünfundfünfzig, ein hühnenhafter Mann mit Charaktergesicht und Max Klausmann, etwa zwanzig Jahre jünger als Gerlach, - er könnte sein Sohn sein, - sitzen im Schnellrestaurant der Autobahnraststätte.

Sie haben gerade von der jungen Bedienung zwei Teller Junk Food serviert bekommen.

Gerlach beginnt eine Unterhaltung.

Er fragt Max Privates. Seine Autorität und der Ton seiner Frage dulden kein Ausweichen.

Max?

Klausmann blickt Gerlach an.

Nahaufnahme Max.

Sein Gesicht ist weich, entspannt, sehr offen, die Pupillen bis zum Anschlag geöffnet. Er scheint Gerlach zu vertrauen. Wenn Gerlach jetzt eine süffisante Bemerkung losließe, träfe er Max völlig ungedeckt.

..warum sind Sie eigentlich Polizist geworden?

Max denkt ein bißchen nach, in seiner Miene spiegeln sie die Worte „Ja warum eigentlich? weil...“ den Rest spricht er laut.

Wir sehen, dass er bereit ist, gegen den Frager jetzt nicht zu mauern. Er wird eine ehrliche Antwort geben.

..ich dachte mir, Polizisten kann man immer brauchen.

Wissen Sie, mein Vater hat drüben im Stahlwerk gearbeitet, dreissig Jahre.

Max deutet mit einer Pommes Frites ungezielt nach ‚drüben’. Er sieht beim Erzählen vor sich hin.

Dann haben Sie ihm den Laden dicht gemacht, von heute auf morgen.

Dann isser noch zwei Jahre rumgesessen.

Dann isser gestorben.

Er setzt an, die Pommes in den Mund zu schieben, seine Hand sinkt doch wieder ab.
Jetzt sieht er Gerlach gerade in die Augen.

Er war neunundvierzig.

Er wiederholt seine persönliche Schlußfolgerung aus dem Schicksal seines Vaters:

... ich dachte, Polizisten braucht man immer.

Er schiebt die goldgelbe Pommes mit der roten Tomatensoße endlich in den Mund.
Schnitt.

- - -
Szene in der Küche: Der Eindringling

Es ist Abend, Max Klausmann kommt von einem aufreibenden und enervierenden Tag nach Hause.

Er ist jetzt im Team von Gerlach.

Die Polizeiuniform durfte er gegen Zivilkleidung austauschen. Er trägt dunkles Hemd, braunes Alltagsjacket, Krawatte. Er hat gerade draussen vor seiner Haustüre bemerken müssen, daß er aus einem Auto heraus fotografiert wurde. Nicht sehr beruhigend.

Wir stehen drinnen im Entrée seines Winzhäuschens neben der Garderobe und empfangen ihn.
Seine Miene ist genervt, angespannt. Scharfes Licht von oben verschattet seine Augenhöhlen, meißelt seine Züge hart heraus.

Was er und wir beim Blick in die chaotische kleine Küche zu sehen bekommen, ist wenig dazu angetan, seine Laune zu verbessern. Unsere auch nicht.

Wir treten hinter Max in den Türrahmen der Küche. Seine Frau steht in Bluse und Rock an der Anrichte und bereitet Abendessen zu, die Kinder sitzen am Tisch und....

...am Tisch sitzt ebenfalls, genau in der Küchenmitte: Gerald.

Er spielt offensichtlich schon länger mit Max´Kindern:

Tatüüh - tata! trötet er, Ergeben sie sich! Hier spricht die Polizei!

-Schau schau, er hat gleich die Vaterrolle samt Beruf des Vaters übernommen, er spielt einen POLIZISTEN,- der Sack! -

Anna fährt herum.

Gerald, in flötend gespielt freundschaftlichen Ton:

Hallo Max!
(Wie kommt der Mensch eigentlich dazu, Klausmann beim Vornamen anzusprechen? Sind wir in einer Studentenkommune oder soll das der moderne Amerikanische Stil sein?)

Max, fragend: ...Gerald...

Anna:.. n´Abend..

Anna eilt auf ihren Mann zu, gibt ihm das tägliche Ehemann-Begrüßungsküsschen. Max wirft Anna am Ende des Kusses einen bohrenden Blick zu.

Gerald hat wenigstens den Anstand, augenblicklich vom Tisch aufzustehen.

Tut mir leid, daß ich Ihre Frau zur Zeit so beanspruche, aber wenn wir den Auftrag erhalten, wird eine Riesenprovision fällig, das verspreche ich!

Gerald geht um den Tisch herum, Richtung Haustüre.

Sie macht sich wirklich gut. Tschüss Jungs! Bis bald, Max.

Gerald geht. Max´ leisest angedeutetes Nicken in Richtung des Eindringlings hat einen ..soso..- Beigeschmack, süffisant frustriert. Max kann nicht, wie er will. Er muss sich einigermassen konziliant benehmen, da Gerald eine Geldquelle der Familie Klausmann ist. Allerdings hat Gerald mit seinem ungebetenen Aufenthalt in der Privatsphäre der Klausmanns deutlich seine Kompetenzen als Arbeitgeber überschritten.

Jetzt ist er endlich draussen.

Anna, die sich – aus der Schußlinie - zu ihrem Sohn hinuntergebeugt hatte, richtet sich auf und schickt sich an, Gerald hinterherzueilen.

Wir müssen nochmal schnell in die Firma.. sie nimmt ihrem Mantel von der Garderobe. ..ich bin um neun wieder da..

..Max..!. ihr Ton hat einen verständnisheischenden Beiklang. .. ich weiss! Sie versucht ihn zu beruhigen.

Wir sehen Max einen Schritt auf seine Frau zugehen, er blickt dabei zu Boden. Da kocht etwas sehr Ernstes. Wir spüren ein Ziehen. Wir spüren das Ziehen in Max´ Brust. Er ist enttäuscht, unruhig, traurig.

Über Annas Schulter hinweg close up auf Max.

Seine Miene ist geschlossen, da sind Türen zugeschlagen. Gleichzeitig sieht er immer noch so aus, als wäre er seiner Frau aufrichtig zugetan.

Allerdings hat sich die Längsfalte zwischen seinen Brauen so vertieft, daß sie einen Hauch von Zorn anzudeuten scheint.

..und dann?
Ein zur Seite geklicktes Rucken mit dem Kopf wirkt gequält. Jetzt sieht er seiner Frau in die Augen.

Nach dem Auftrag, was dann?

Anna tut alles, um ihren Mann zu beruhigen. Sie versucht, ihm ihre Freude an der Aufgabe zu kommunizieren. Sie versucht, ihn von seinem Verdacht, es ginge hier um eine eheliche Untreue, abzulenken.

Die Arbeit macht mir Spaß, er läßt mich alles alleine machen..

Max sieht sie dabei sehr aufmerksam an. Sein Blick klickt zwischen ihrem linken und rechten Auge hin und her. Er forscht. Er forscht nach Anzeichen von Unwahrheit. Er findet nichts.

Jetzt deutet er ein kleines, sich in die Situation ergebendes Nicken an. Aber er sieht dabei zur Seite. Er ist ganz und gar nicht einverstanden.

Anna nimmt sein Nicken als finale Klärung des Konflikts, lächelt erleichtert glücklich und beißt ihn ins Ohrläppchen. Bis gleich.

Wir sehen Max noch einmal ins Gesicht. Der Biss hat ihn erweicht. Anna hat ihn an die ungebrochen funktionierende Anziehung zwischen ihnen beiden erinnert. Sie hat bis jetzt in keiner Sekunde körperliches Desinteresse an ihm signalisiert. Im Gegenteil. Sie genießt ihn und sie zeigt es. Eigentlich Entwarnung.

Sein letzter Blick gilt der davonflatternden Frau. Ein kaum wahrnehmbarer Reflex von Freude und echtem tiefen Zugetansein mischt sich immer mehr mit besorgter Traurigkeit.

Sein Mund wirkt wie zubetoniert. Max Klausmann hat nicht viele Worte. Jetzt nicht und sonst auch nicht. Er ist eher schweigsam, er wirkt manchmal wie sprach- oder wortlos.
Entweder, sie begreift ihn oder.......... oder gar nichts.

Er ist sprachlich an seiner Grenze. Weitere verbale Artikulation ist ihm nicht gegeben.

- - - - - -

Als Gerald wieder mal an der Haustüre auftaucht – er will Anna Unterlagen bringen, - wichtig, wichtig! – nimmt Max ihm die Unterlagen aus der Hand und knallt ihm sofort die Haustür vor der Nase zu.

Als Anna die Tür wieder öffnet, um sich für die brüske Reaktion ihres Mannes zu entschuldigen, wird Max endlich deutlich:

Er schreit Gerald an:

‚Haben Sie keine eigene Frau?’

Jetzt hat Gerald endlich kapiert. Sein Blick driftet von Brüskiert- in Beleidigtsein. Dann dreht sich dann in einer Weise weg, dass wir sofort wissen:


den sehen wir hier nicht wieder.

Ende der Szene.


1998 Heino Ferch – Max Klausmann, Julia Jäger – Anna Klausmann, Michael Mendl Filmographie Mendl bester deutscher Schauspieler 2004 Goldene Kamera 2004- Peter Gerlach, Nellis du Biel (?) - Gerald.


Kommentar 1:

Max Klausmann wirkt auf uns genauso, wie ihn seine Vorgesetzten -und besonders auch Gerlach - zu sehen scheinen. Prinzipiell von einer unbedrohbaren pragmatischen psychischen Stabilität. Verantwortungsbewußt. Ehrlich.
Noch nicht sehr erfahren, aber mit beachtlichem Entwicklungspotential, wenn man ihm Türen öffnet und die richtige Führung bietet. Lernfähig.

Flexibel. Belastbar in körperlichen Streßsituationen, gar nicht leicht zu überfordern. Potential wächst mit der Belastung, kein Ausflipper. Stabiles Werteraster, moralisch integer.
Denkt nicht nur mit, sondern auch voraus. Kein Schwätzer. Kann Schweigen.

Beziehungsfähig, projiziert eigene Schwächen nicht auf den Partner. .. ein wertvolles Asset, wenn er zukünftig Führungsaufgaben übernehmen soll.

Der Titel des Films "Todfeinde" ist m.E. nicht richtig. Weder Max noch Nico sind Todfeinde. Max diskreditiert unkorrekte oder dumme Handlungsweisen, nicht den ganzen Menschen. Auch Nicos seelisches Handlungsfeld ist zu weit, um zu Etikettierungen und Verteufelungen greifen zu müssen. Nico stirbt, weil er nicht mehr leben will. Der Verlust seiner Frau hat einen trotzigen Selbstzerstörungswunsch geweckt, den er umsetzt.

Kommentar 2:

Der Film hat ein Happy End: Die Vaterfigur Gerlach entpuppt sich als Max´ Mentor. Er wird sein Türöffner. Er eröffnet ihm eine Chance zu einem Karriereweg in seiner Abteilung. Max wechselt zum Bundeskriminalamt.

Kommentar 3:

Hirschbiegel hat seinen Film in Hitchock-Manier signiert. Der BKA-Beamte, der in der Tiefgarage bei Max die Daten der soeben stattgefundenen Schießerei aufnimmt, ist Oliver Hirschbiegel himself.