Samstag, September 04, 2010

Filmszenen I ...Thomas, geh da nich´hin - Bitte!...in: Umbra Mortis. Tobias Moretti - Thomas Dorn, Regie: Urs Egger, 2007-08






Bildquelle und Bildrechte: Lisa Film für RTL und ORF


...Thomas, geh da nich´hin - Bitte!...Szene aus: Umbra Mortis- Das jüngste Gericht. Tobias Moretti - Thomas Dorn, Buch: Don Bohlinger, Regie: Urs Egger, 2007-08.

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Die Szene

Das weissrote Trassierband ist das erste, das uns ins Auge fällt. Das Band soll Leute aussperren, die nichts mit der Sache zu tun haben. Die Polizei hat dieses Trassierband gespannt, um den Tatort abzusichern.


Wir stehen in der Gruppe der Mitarbeiter Spurensicherung. Direkt vor uns Renz, Thomas´ Chef. Es ist Sommer, warm. Renz hat das Jacket abgenommen, steht da in Hemd Hosenträgern, Krawatte. Umgeben von seinen Subalternen.


Wir sind in einem Friedhof. In einem dieser einseitig offenen Wandelgänge, deren geschlossene Seite die Epitaphe und Wandgrabmäler reicher und großer Familien beherbergt.


Palladianische Backstein – Marmorsäulen – Architektur. Hinten, jenseits des Schattens, ein Säulenstumpf im hellen Sonnenlicht.


Kommissar Thomas Dorn (Tobias Moretti), ca. vierzig, nur dunkel gekleidet, wie zu einer Beerdigung, geht auf uns zu. Schnell. So schnell er kann, ohne zu rennen.


Er reißt das Trassierband hoch, taucht darunter durch. Er kommt auf uns zu. Er scheint zu wissen, was ihn hier erwartet. Er drückt den Kopf nach vorne, wie, um noch schneller gehen zu können.


Alle drehen sich nach ihm um. Renz geht auf ihn zu, verstellt uns den Blick auf Thomas.


Schnitt auf Kollege Peters. Der steht ein wenig abseits.


Peters, ebenfalls in der Sommerhitze nur im Hemd, diktiert das Spurenergebnis in ein kleines Bandgerät. Er wendet sich auch nach seinem Kollegen um. Aus verächtlich professioneller Überlegenheit wird einen Moment lang Überraschung. Er lässt das Diktaphon sinken.


Schnitt. Wir hinter Thomas. Wandstücke und Säulen des Wandelganges vor uns, die Spurensicherung hat aufgebaut, hinten, hinter einer Wandzunge, Rücken und Flügel eines überlebensgroßen Trauerengels aus weissem Marmor.


Wir stehen hinter dem dunklen Rücken von Thomas, sehen Renz ins Gesicht. Renz versucht , Thomas mit einer Hand zurückzudrücken.


Thomas, geh´ da nich´ hin. -- Bitte!


Bleib da.


Ein zweiter Kollege schießt herbei, versucht, Thomas am Oberarm festzuhalten.

Thomas nimmt nur die Hände vor die Brust, drängt vorwärts....


Schnitt.


Wir hören, wie Renz noch einmal sagt:


..bleib da!


Schnitt.


Wir sehen durch Thomas´ Augen.


Direkt vor uns ein Mann, eine Frau in weisser Bluse und dunklem Rock, etwas weiter weg. Beide tragen die weissen Einmalhandschuhe, die Fingerabdrücke verhindern.


Unser Blick nimmt im Augenwinkel zunächst wahr, dass da jemand liegt. Wir sehen langsam weg von den Stehenden hin zu dem jungen Mann am Boden.


Er liegt da, wie schlafend, auf dem Rücken, der Kopf ein wenig erhöht, zu Füßen des weissen Marmorengels. Wir kommen näher. Noch näher. Der junge Mann ist bewegungslos. Er schläft nicht. Seine Augen sind geöffnet.


Schnitt auf Thomas.


Er hat Renz hinter sich gelassen. Jetzt steht er an der Wandzunge. Seine Hände liegen auf den Backsteinen, als hielte er sich daran fest. Als wäre ihm schwindlig. Er richtet sich gerade auf. Läßt die Wand los. Stößt sich mit der Linken von ihr ab.


Wir fühlen, er ist sich völlig im Klaren, wer da liegt und dass sein Sohn tot ist.


Jetzt macht er die vier fünf Schritte, die ihn aus dem letzten Funken unklarer Hoffnung in die Klarheit körperlicher Nähe bringen, die kein „vielleicht ist er doch nicht, vielleicht irre ich mich…er könnte doch..“ mehr erlaubt.


Thomas Stirn leuchtet hell im Halbschatten, darüber sein schwarzer Haarhelm, sein Mund ist offen, die Lippen fahlgrau.


Wir sehen, er nimmt nur noch seinen Sohn wahr. Er fühlt nicht, wie er läuft, er sieht nicht, dass er einen Mann beiseite drängt, er hat nur noch zwei Schritte zu gehen.


Sein Gesicht hat die Art Leere, die spiegelt, er fühlt, dass die Grenzen der Normalität irreversibel überschritten sind.


Die Leere, die wie Lärm, der aufbrandet, ins Gehirn hinaufzieht. Die ein Gefühl entstehen lässt, als steige in sekundenschnelle ein Wasserspiegel um den Kopf, der die Geräusche dämmt, den Atem nimmt, den Blick verunschärft.


Schnitt.


Der Tote halbnah. Wir blicken auf ihn hinab.


Die Augen des Vaters, die Augen des Sohnes – derselbe Blick, der sieht und doch nicht sieht, nicht fokussiert.


Der Junge sieht friedlich aus, keine Todesangst hat ihn abschreckend hässlich erstarren lassen. Der Mund ist leicht geöffnet, dunkle Locken um die Stirn, er trägt dieselbe Kleidung wie sein Vater, dunkles T-Shirt, graues Jacket.


Wie eigenartig, die Ähnlichkeit. Thomas´ Gesicht. Das Gesicht seines Sohnes. Die Leere. Bei Oliver ist sie das letzte Wort, der Punkt am Ende eines Satzes


Bei Thomas ist die Leere Anfang, der Beginn von etwas, das sich jetzt Raum nimmt.


Schmerz.


Thomas tut, was man in solchen Momenten tun muss. Man setzt sich neben sein Kind.

Er will sich auf sein Knie niederlassen, zu seinem Sohn hinab.

Mitten in der Bewegung stoppt er abrupt, fährt wieder hoch, dreht sich um, blickt zurück, zu der Stelle, von der er gekommen ist.

Schnitt.

Totale.

Wir sind aus der Szene ausgesperrt. Ein rotweisses Absperrgatter verwehrt uns den Zutritt.

Bei uns, jenseits des Gatters, Peters, er blickt, wie wir, auf die Szene der Menschen dort hinten an diesem Wandgrabmal mit dem großen Marmorengel.

Der Junge liegt wie ein Opfertier zu Füßen der Statue, Monica, die Kollegin, mit dem Rücken zu uns, vor ihr Thomas.

Wir sehen aus der Distanz, wie sich Thomas rückwärts umwendet, nach hinten blickt, als suche er dort etwas. Da ist Nichts. Übersprungshandlung.

Jetzt erst wendet er sich wieder seinem toten Sohn zu. Jetzt erst setzt er sich neben ihn, auf die Grabplatte.

Monica geht ein paar Schritte weg, sie scheint sich aus Respekt vor diesem privaten Moment zu entfernen.

Thomas nimmt Olivers Hand zwischen seine Hände, als säße er an einem Krankenbett.

Wir hören ein klatschendes Geräusch. Thomas schlägt die Handfläche an die Hand seines Sohnes, als glaube er, einen Ohnmächtigen damit aufzuwecken.

Renz, Monica und Peters sehen nun doch zu. Sprachlos, starr, atemlos. Monica deckt ihren Mund mit der Hand zu.

Schnitt

Thomas nah.

Wir sehen, die Bewegung, mit der er gegen die Hand seines Sohnes schlägt, ist ein Selbstläufer geworden. Thomas weiss nicht bewusst, was er da gerade tut. Eine repetierende Geste der Hilflosigkeit zuerst, wird die Geste mehr und mehr Ausdruck schockierter Betäubung, Ausdruck von Schmerz, der keinen Ausdruck findet, der Erleichterung böte.

…Oliver…

Murmelt Thomas.

Schnitt auf Monica. Noch immer hält sie sich den Mund zu. Sie blickt weg. Sie kann das nicht mit ansehen, wendet sich ab.

Thomas Schläge gegen die Hand messen die Zeit, die langsam vergeht, ohne barmherzig gegen diesen Alptraum irgend eine Art von Abbruch zu bieten.

Wir sind weiter bei Monica, sie öffnet den Mund, sie scheint schlecht Luft zu bekommen.

Thomas Stimme hebt sich, wie unsere Stimme, wenn wir Tränen nicht unterdrücken können, die Aussprache schleppt.

…Olli….??

Peters´Gesicht ist völlig eingefroren. Er wendet sich ab. Geht weg aus dem Wandelgang.

Schnitt auf Thomas.

Er weint, ohne Tränen. Weint, ohne das Gesicht zu bewegen.

Der Schmerz liegt unter der Oberfläche, hinter den Augen, unter der Haut der Wangen, lauert in den Mundwinkeln, in den Muskeln des Gesichts, bereit jede Sekunde durchzubrechen. Er schaukelt leicht vorwärts und rückwärts, wie verlassene Herdentiere es tun.

Er blickt seinem toten Sohn ins Gesicht.

Wendet sich weg.

Sieht lauernd wieder hin. Nein. Kein Traum. Das ist echt. Er ist hier. Oliver ist hier. Er schläft nicht, er atmet nicht.

Er lebt nicht mehr.

Der Junge da vor ihm ist wirklich sein Kind. Er, Thomas, ist wirklich hier, der Stein, auf dem er sitzt, ist kalt. Ollis Hand ist kalt.

Seine Hand streckt sich, er deutet auf das Gesicht seines Kindes. Bei dem Versuch, zu sprechen, bricht fast das Weinen durch, sein Mund verzerrt sich, er versucht, etwas zu fragen. Er strengt sich an, schließt und öffnet die Augen.

Jetzt sagt er etwas. Sein Gesicht verzerrt sich wie unter extremem Stress, alle Muskeln kontrahieren, er altert in dieser Sekunde um Jahre.

Zum Sprechen scheint er sich anstrengen zu müssen, als kämpfe er gegen eine Lähmung an.

Was…

Fragt er

Was hat er da auf der Stirn?



Tobias Moretti– Thomas Dorn

Laurence Rupp - Oliver Dorn, Thomas´ Sohn

Christoph Waltz – Peters

Silke Bodenbender – Monica Faber

Christian Redl – Renz


Die Szene als Video-Clip:

http://www.moretti.at/film2.html Min 0:00 - 0:37




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