Montag, Oktober 12, 2009

Filmszenen I ...mein Name hat Gewicht...in: Leo und Claire. Michael Degen - Leo Katzenberger. Regie: J. Vilsmaier, 2001


Bildquelle und Bildrechte perathon Filmproduktionsgesellschaft Odeon Filmproduktionsgesellschaft


...mein Name hat Gewicht in dieser Stadt...in: Leo und Claire. Michael Degen - Leo Katzenberger. Buch: Klaus Richter ("Comedian Harmonists"), Reinhard Klooss nach einem Roman von Christiane Kohl, Regie: Joseph Vilsmaier, 2000 - 2001

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Bildergalerie zum Film->

Vor der Szene


Dreissiger Jahre, Nürnberg.


Der wohl situierte Herr Leo Katzenberger besitzt ein renommiertes Schuhhaus in Nürnberg und das Mietshaus über´n Hof auch noch dazu. Er selbst wohnt mit seiner großen Familie in einer schönen großen Jugendstilvilla etwas ausserhalb.


Die Mieter beobachten sich gegenseitig - und sie beobachten Herrn Katzenberger. Der hat ein leer stehendes Atelier an die schöne junge Fotografin Irene vermietet. Leo und Irene mögen sich, Anlass genug, Neid und Missgunst gegen den reichen Mann zu schüren.


Der Nazionalsozialistische Politiker Julius Streicher darf schon seit Jahren den Stürmer herausgeben, der an jeder Straßenecke in Schaukästen zur Lekture aushängt.


Bildquelle und Bildrechte perathon Filmproduktionsgesellschaft Odeon Filmproduktionsgesellschaft


Als Leo Katzenberger eines abends nach Hause kommt, findet er nicht nur die Familie im Wohnzimmer versammelt.


Auch sein alter Freund, der Anwalt Richard Ephraim Hertz, verdienter Veteran des Ersten Weltkrieges und Träger des Eisernen Kreuzes, ist zu so später Stunde anwesend.


Ein Exemplar des Stürmer liegt auf dem Tisch….



Die Szene


Titelblatt einer Tageszeitung: Der Stürmer. Schlagzeile:


Jüdischer Mordplan gegen die nichtjüdische Menschheit aufgedeckt.


Schnitt.


Seite 2: Überschrift: Die Schuhjuden Katzenberger.


Wir hören eine junge Frauenstimme. Es ist Leo´s ältere Tochter Käthe. Sie und ihr Verlobter wollen nach Palästina emigrieren, fliehen, schon bald.


Ihr könnt sagen, was ihr wollt, es gibt keine andere Möglichkeit. Das weiter mit anzusehen, ist absolut wahnsinnig.


Schnitt Totale.


Wir sehen das weitläufige Wohnzimmer der Familie Katzenberger. Mahagonimöbel, damaszierte goldfarbene Tapeten, Kristall-Kronleuchter, an der Wand ein großes Plein-Air-Gemälde im Goldrahmen, französischer Impressionismus oder Worpswede. Der Kaffeetisch ist eingedeckt mit Goldrandporzellan, auf einem Sideboard der große silberne Chanukka-Leuchter.


Am Tisch versammelt Frau Katzenberger, die Tochter und ihr Verlobter, Onkel Max und Tante, die jüngere Tochter wurde schon ins Bett verfrachtet. Ein Gast ist anwesend, ungewöhnlich zu so später Stunde: Anwalt Hertz. Man liest besorgt den Artikel im Hetzblatt Stürmer.


In der Raumtiefe ein großer Architekturbogen mit Glasfüllungen. Von dort hinten betritt Leo Katzenberger den Raum, hört gerade noch die Worte seiner Tochter. Leo:


Wer ist wahnsinnig?


Leo steuert gut gelaunt auf das Sideboard zu und nimmt sich ein Kristallglas. Die Tante hat ein Glas Port vor sich stehen, Katzenberger will den Abend ebenfalls mit einem Glas zur Entspannung beginnen. Im Vorbeigehen grüßt er seinen Freund, den Anwalt.


N´Abend Hertz.


Alle haben sich nach Leo umgedreht. Ernste Gesichter, Leo reagiert.


S´jemand gestorben?


..oder hat Max wieder versucht, einen Witz zu erzählen?


Mutter und Tochter setzen sich um, um Leo das Fauteuil an der Stirn des Tisches frei zu machen. Die Tochter lässt dabei das Hetzblatt vom Tisch verschwinden, hält es auf ihrem Schoß.


Frau Katzenberger:


Du kommst spät, Leo.


Leo


Ich hatte zu tun in unserer Fürther Filiale.


Er greift nach der Portweinkaraffe und gießt sich ein. Der Verlobte bedrückt:


Wir haben ein Problem.


Leo, immer noch bestens gelaunt und optimistisch:


Probleme sind dazu da, dass man sie löst.


Schnitt. Leo und Hertz nah, im Wechsel.


Leo:


Die Sache scheint wirklich ernst zu sein, wenn Du hier mitten in der Nacht auftauchst.


Hertz, langsam, besorgt, wohlwollend:


Ich bin nicht als Dein Anwalt hier – sondern als Dein Freund.


Mutter und Tochter reichen Leo den Stürmer auf den Tisch.


Schau Dir das mal an.


Leo schüttelt den Kopf. Wehrt unwillig ab:


Sowas les ich nicht.


Die Tochter nimmt die Sache in die Hand, liest vor:


Wer ist der Blutsauger, der das Geld scheffelweise verdient und der in einer palastartigen Villa haust?


Leo will sich gerade eine Havanna coupieren, bricht ab.


In seinen Geschäften lässt er sich nur hier und da blicken.

Die Arbeit aber verrichten Deutsche Verkäuferinnen. Aber die Tage der Herrlichkeit und Raffgier sind gezählt.


Leo zündet sich die Zigarre nun doch an. Das macht er jeden Abend genau so. Ein Glas Port, eine Zigarre. Auch jetzt.


Stündlich kann das große Reinemachen angehen. Besonders den Kaufmann Leo Katzenberger werden wir uns dann genau besehen. Auf ihn werden wir unser Auge richten, mit ihm wird sich der Stürmer demnächst eigens befassen.


Hertz nah, er geht unruhig auf und ab, wirft immer wieder ernste Blicke zu Leo.


Wir fordern das Deutsche Volk auf: kauft nicht beim Schuhjuden Katzenberger.


Jetzt ist Leo endlich wütend. Er wendet sich zu Hertz um:


Das lass ich mir nicht bieten.


Hertz nickt und wendet sich ab.


Der Verlobte:


In einem Monat sind wir in Palästina – ihr habt immer noch die Chance, mitzukommen.


Leo:


Ich denke gar nicht daran, was soll ich da unten? Ich will Schuhe verkaufen und nicht putzen.


Die Glastüre öffnet sich und die jüngere Tochter stürmt im Nachthemd und strumpfbesockt herein. Sie sieht Hertz und begrüßt ihn freudig, wie einen vertrauten Onkel.


Leo:


Ich werde diese Bande verklagen.


Die jüngere Tochter, sie wird in der Schule bereits diskriminiert als „stinkendes Judenmädchen“, setzt sich auf die Armlehne des Sessels ihres Vaters. Begeistert:


Au ja.


Leo lacht, legt seinen Arm um sein Kind und küsst es auf die Wange:


So will ich Dich hören, mein Schatz.


Nun aber ab in´s Bett.


Die Tochter sucht mit einem Darfichbittebleiben-Blick Hilfe bei Mama. Vergeblich. Sie muss wieder ins Bett. Küßchen, Abflug.


Wir hören Hertz:


Das ist doch vollkommen absurd. Im Stürmer krakeelen sie, die Juden sind unser Unglück.


Schnitt. Hertz nah, er hält ein Schreiben in der Hand, bringt es Leo:


Ich, Richard Ephraim Hertz bekomme vor ein paar Tagen das Hindenburg-Kreuz, Frontkämpfer im Krieg , verliehen.


Er reicht Leo das Schreiben. Ärgerlich:


Gezeichnet der Führer und Reichskanzler persönlich.


Man fühlt sich unwohl, die Blicke weichen aus. Hertz:


Nicht dass ich besonders stolz drauf wäre – das Eiserne Kreuz hab ich ja schon dafür dass ich das Glück hatte, im Krieg meine Birne hinzuhalten.


Leo hat inzwischen weiter gedacht. Zu seiner Frau:


Die bring ich wegen Geschäftsschädigung und Verleumdung vor Gericht.


Hertz, er steht jetzt neben Leo, warnt:


Das würd´ich mir noch mal überlegen.


Leo hört nichts. Antwort:


Und Du, lieber Hertz, wirst mich vertreten.


Hertz nimmt das Mandat an.


Mmh.


Totale. Der Kreis der Anwesenden um den Tisch. Mutter und Tochter scheinen sich gegenseitig Mut zu machen, halten sich an den Händen.


Leo steht auf, Hertz hatte sich nicht gesetzt. Zu Hertz:


Auf unsere Gesundheit.


Leo nimmt wieder Platz. Er ist siegessicher:


Mein Name hat Gewicht in dieser Stadt.


Ich bin Leo Katzenberger. Vorstand der Industrie- und Handelskammer, Förderer der Altenheimstiftung,


Seine Frau lächelt ihm zu, stolz.


.. zweiter Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde und – ironisch fröhlich: der Mann, der die Linksdrehung beim Wiener Walzer beherrscht.


Die Spannung der Anwesenden lässt nach. Leos Optimismus steckt an.


Hertz, ebenfalls lustig ironisch:


Na dann – is´ ja der Prozess so gut wie gewonnen.


Schnitt.


Leo gewinnt den Prozess gegen Julius Streicher, den Herausgeber des Stürmer, wegen Geschäftsschädigung und Verleumdung tatsächlich.


Aber kurz darauf, als er ausnahmsweise einmal, statt mit der Limousine zu farhen, zu Fuß zur Arbeit in die Stadt geht….


Die Szene


Wir sehen Leo Katzenberger am Fluß entlang gehen mit Aktentasche, äußerst elegantem dunklem Hut und Mantel, silbergrauem Anzug, Weste, Krawatte. Als er einen Verkaufsstand des Stürmer passieren muss, sehen wir in seinem Gesicht schon so etwas wie Angst.


Schnitt.


Eine Straße in der Altstadt, sie führt bergab. Uns entgegen kommt ein Lastwagen mit Planen-Verdeck, am Steuer ein Braunhemd, Ha k en kreuz-Armbinde, Uniform.


Der Lastwagen fährt exakt neben Leo Katzenberger im Schritt-Tempo, schlägt kurz vor Leo auf den Fußweg ein, verstellt den Weiterweg. Als Leo das Heck des Wagens erreicht hat, springen zwei Gestapo-Ledermäntel heraus, packen ihn und zwingen ihn in den Wagen.


Los, rein da!


Sie springen selbst auf,


Weiterfahren!


Der Lastwagen verschwindet.


Das Ganze hat fünf Sekunden gedauert.


Schnitt. Draussen vor der Stadt, wir befinden uns offensichtlich, dem Tor nach, auf einem Fußballplatz. Von Fern sehen wir den Lastwagen näher kommen.


Schnitt.


Im Inneren des Wagens.


Nicht nur Leo wurde gekidnappet, der ganze Laster ist voller Männer, auch Hertz ist unter ihnen. Schweigen. Die Gestapomänner fahren mit. Angstvolle Blicke. Man wartet. Es ist klar, dass etwas Schlimmes bevorsteht.

Schnitt.


Wir sehen den Wagen, er hält an, die Perspektive erlaubt einen Blick auf das Fußballfeld. Es ist voller Menschen. Sie liegen am Boden. Heftige Bewegung überall. Manchen tragen noch Schlafanzug, darüber ihren Mantel. SA-Uniformen stehen über den Menschen, schlagen sie mit Knüppeln. Wir hören nichts. Die Geräusche sind ausgeblendet, Musik begleitet unseren Blick über die Szene.


Erst als wir die ersten Nahaufnahmen sehen, blutige Gesichter, Knüppelschläge von oben, begreifen wir, was Leo und Hertz, wie die anderen hier, tun müssen:



Bildquelle und Bildrechte perathon Filmproduktionsgesellschaft Odeon Filmproduktionsgesellschaft


Man zwingt sie, Gras zu fressen – wie Vieh.


Schnitt.


2000 – 2001 Michael Degen (im Alter von 68) – Der Nürnberger Schuhfabrikant Leo Katzenberger, Suzanne von Borsody – Frau Claire Katzenberger, Alexandra Maria Lara – die ältere Tochter Käthe, Franziska Petri – die Fotografin Irene Schaeffler, Dietmar Schönherr – der Anwalt und Freund von Leo, Richard Ephraim Hertz, Rüdiger Vogler – Onkel Max.


Kommentar:


Nach diesem Erlebnis weiss Leo, dass er es hier und heute mit „ganz anderen“ Leuten zu tun hat, dass die Ordnung der Dinge ausgehebelt ist. Der Rechtsstaat – Vergangenheit, ein leeres Wort.



semi - offtopic

Filmtipp - Kinostart: Michael Haneke: Das weisse Band (Goldene Palme Cannes 2009) startet am 15.10.2009 in den Kinos. Story Line->

Zitat:" Die Frage, wie der Faschismus nach Deutschland kam, wie er überhaupt möglich wurde, schwebt über dem Film."

Textquelle: Hamburger Abendblatt





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semi-offtopic.

1. angesichts des o.g. Themas fast blasphemisch, but we have work to do for our thesis.
Also: Die Vorstellung der schönen jungen Frau, der engelsgleichen Franziska Petri als Irene, der weiblichen Protagonistin des Films, wird von einem Zwanzigerjahre-Bigband-Stück begleitet, das Irenes Aussehen kommentiert:

Ain´t she sweet?!
-as she´s comin´down the street?

- Yes yes yes she´s helluva sweet.!!!. Die Konstruktion dieser Figurenetablierung finden wir ganz ähnlich wieder in Die Luftbrücke. Szene: Louise, unbestreitbar wunderschön im sonnengelben Sommerkleid, betritt den Flughafen Tempelhof , ein Trupp Soldaten rennt an ihr vorbei, die Männer sind äußerst angetan, im Hintergrund hören wir ein Dreissiger/Vierzigerjahre-Bigband-Stück:

Hey! Hey! It´s a sunny day.

Hier kommentiert das Stück Louise´s gute Laune, legt mit dem Hey hey! den Soldaten einen Ruf in den Mund, "cast an eye in her direction (Zeile aus ain´t she sweet)" und unterstreicht in der fröhlichen Tonalität aber auch die FigurenetablierungProtagonistin Louise, die ebenfalls "comin´down the street" ist.


s.a youtube.de

2. Besetzung Michael Degen und Alexandra Maria Lara als Tochter. siehe auch: Der Wunschbaum.

3. Leo ´s Antwort:

was soll ich da unten? Ich will Schuhe verkaufen und nicht putzen. erinnert sehr stark an Sophia´s Reaktion, doch mitzukommen, in SchvT: Was soll ich mit Dir in Kairo? Vielleicht die Pyramiden anstarren?



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semi offtopic

Joseph Vilsmaier wurde der Ehrenpreis des Deutschen Kamerapreises 2009 verliehen.->

Begründung des Kuratoriums:

"Begründung des Kuratoriums Deutscher Kamerapreis Köln e.V.:
Joseph Vilsmaier setzt als filmischer Erzähler bedingungslos auf die emotionale Kraft der Bilder. Intuitiv erfasst er Lichtstimmungen und Bildräume, die er in den Ereigniswert großer Hollywoodfilme oder der besten europäischen Produktionen erhebt, ohne dabei mit der gebotenen Authentizität zu brechen.

Der DEUTSCHE KAMERA PREIS e. V. ist stolz, einen der großen deutschen Kameravirtuosen zu ehren, dessen Meisterschaft in seinem Metier höchstens durch seine eigenen Regieleistungen in den Schatten gestellt wird.

Diese hohe Handwerklichkeit und Unmittelbarkeit des Visuellen erreichte er schon in seinen frühen Fernseharbeiten wie dem Mehrteiler „Ein Stück Himmel“ und „Rote Erde“, die zu den Sternstunden des deutschen Fernsehens zählen. So wie diese preisgekrönten Filme kollektive Erinnerungen in unvergessliche Bilder fassten, verbanden auch Vilsmaiers eigene Regiearbeiten, bei denen er meist selbst die Kamera führte, historische Genauigkeit mit emotionaler Kraft:

Filme wie „Herbstmilch“ oder „Comedian Harmonists“ zählen nicht nur zu den großen Kassenerfolgen des deutschen Films, sondern vermitteln nachfolgenden Generationen ein hautnahes Gefühl für die eigene Geschichte.

Mit Freude ehren wir einen Kollegen, der seinen Beruf mit Herz und Seele ausfüllt."

Quelle: www.kamerapreis.de


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Interview Oktober 2009 mit der Nobelpreisträgerin für Literatur 2009 Herta Müller->