Sonntag, August 03, 2008

Filmszenen I ...eine zweibeinige Sackratte...Teil 2. in: Reise hinter den Spiegel. Regie: Wolf Vogel, 1989

Teaser Film Reise hinter den Spiegel, 1989. Regie: Wolf Vogel

Bildquelle und Bildrechte bei Produktionsgesellschaft und Fernseh-Sender. 1988-89

...eine zweibeinige Sackratte...Teil 2. in: Reise hinter den Spiegel. Regie: Wolf Vogel, 1989

Handlung in Reise hinter den Spiegel:

Die jungen Neonazis und Skins Eddie und Karl verhöhnen, foltern und schlußendlich töten Arpad, den türkischen Fremdling, der sich in das unterirdische Bunkersystem verlaufen hatte, in dem die Skins ihr Lager aufgeschlagen haben.

Eddie und Karl sind gleichzusetzen mit Robert Musils Beineberg, Reiting und Törleß, Arpad mit Musils Basini. In: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß. 1957 - 1979

Es folgen Textauszüge aus:

Robert Musil: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß

S. 5 – 143 in der Ausgabe: Robert Musil Sämtliche Erzählungen, Rowohlt Verlag Reinbek bei Hamburg, 1979 Auflage 83. – 89. Tausend. ISBN 3498 09273 1

Die Örtlichkeit Bei Musil eine Kammer und ein Dachgeschoß, ( Vergleich: in Reise hinter den Spiegel ein unterirdisches Bunkersystem unter Ostberlin):

S.39

"Die Wände waren vollständig mit einem blutroten Fahnenstoff ausgekleidet, den Reiting und Beineberg aus einem der Bodenräume entwendet hatten, und der Fußboden war mit einer doppelten Lage dicker, wolliger Kotzen bedeckt, wie solch im Winter in den Schlafsälen als zweite Decken dienten.

In dem vorderen Teile der Kammer standen niedere, mit Stoff überzogenen Kistchen, die als Sitze verwendet wurden; hinten, wo Fußboden und Decke in den spitzen Winkel ausliefen, war eine Schlafstätte hergerichtet. Sie bot ein Lager für drei bis vier Personen, das sich durch einen Vorhang verdunkeln und von dem vorderen Teile der Kammer abtrennen ließ.

An der Wand neben der Türe hing ein geladener Revolver. Törleß liebt diese Kammer nicht. "

S. 55 "In die dünne Zwischenwand, welche die Kammer vom Dachboden trennte, war nämlich ein Durchlaß gebrochen, gerade so breit, daß sich ein menschlicher Körper hindurchzwängen konnte. Der sollte im Falle einer Überraschung als Notausgang dienen und war für gewöhnlich durch eingeschobene Ziegel verschlossen ."

Die zwei Welten: Die Bürgerliche Welt versus die Heimliche Welt der jungen Männer: (Vergleich: Reise hinter den Spiegel: das oberirdische Berlin des Jahres 1988 versus der unterirdische heimliche Bunker der Neonazis):

S. 41-42

"Er fühlte sich gewissermaßen zwischen zwei Welten zerrissen: Einer solid bürgerlichen, in der Einer solid bürgerlichen, in der schließlich doch alles geregelt und vernünftig zuging, wie er es von zu Hause her gewohnt war, und einer abenteuerlichen, voll Dunkelheit, Geheimnis, Blut und ungeahnter Überraschungen. Die eine schien dann die andere auszuschließen. "

S. 46-47

"War diese Kammer möglich... Dann war es auch möglich ,daß von der hellen , täglichen Welt, die er bisher allein gekannt hatte, ein Tor zu einer anderen, dumpfen, brennden, leidenschaflichen, nackten, vernichtenden führe.

Daß zwischen jenen Menschen, deren Leben sich wie ein einem durchsichtigen und festen Bau von Glas und Eisen geregelt zwischen Bureau und Familie bewegt, und anderen, Herabgestoßenenen, Blutigen, ausschweifend Schmutzigen, in verwirrten Gängen voll brüllender Stimmen Irrenden, nicht nur ein Übergang besteht, sondern ihre Grenzen heimlich und nahe und jeden Augenblick überschreitbar aneinanderstoßen..."

Das Ausgeliefertsein an die Peiniger: Musil: Törleß, Beineberg und Reiting haben Basini in der Hand (Vergleich: Reise hinter den Spiegel: Eddie, Karl und später die ganze Skinhead-Gruppe haben Arpad in der Hand)

S. 48

"Basini ist in unserer Hand, wir können mit ihm machen, was wir wollen, meinetwegen kannst du ihn zweimal täglich anspucken: wo bleibt da, solange er es sich gefallen läßt die Gemeinsamkeit? Und lehnt er sich auf, können wir ihm immer noch den Herrn zeigen.... Du muß nur die Idee fallen lassen daß zwischen uns und Basini irgendeine andere Zusammengehörigkeit bestehe, als die daß uns seine Gemeinheit Vergnügen bereitet."

Rechtfertigung der unmenschlichen Grausamkeit über die Weltsicht: Der Fremde ist ein Untermensch ( Vergleich: Reise hinter den Spiegel: Arpad ist ein Türke, aus Nazi-Sicht ein Untermensch, kein Mensch, weniger als ein Tier)

"Beineberg: Ich habe mir die Sache hin und her überlegt, und du weißt, daß ich darin ganz besonders denke. Was zunächst Basini anlangt, meine ich, daß es um ihn in keinem Falle schade wäre. Sei es , daß wir ihn jetzt anzeigen oder schlagen, oder ihn selbst rein des Vergnügens halber zu Tode martern würden. Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß so ein Mensch in dem wundervollen Mechanismus der Welt irgend etwas bedeuten soll.

Er erscheint mir nur zufällig, außerhalb der Reihe geschaffen zu sein. Das heißt, - irgend etwas muß ja auch der bedeuten, aber sicher nur etwas so Unbestimmtes wie irgendein Wurm oder ein Stein am Wege, von dem wir nicht wissen, obe wir an ihm vorübergehen oder ihn zertreten sollen.

Und das ist so gut wie nicht. Denn, wenn die Weltseele will, daß einer ihrer Teile erhalten bleibe, so spricht sie sich deutlicher aus. Sie sagt dann nein und schafft einen Widerstand, sie läßt uns an dem Wurm vorübergehen und gibt dem Stein eine so große Härte, daß wir ihn nicht ohne Werkzeug zerschlagen können.

Denn bevor wir solches holen, hat sie längst die Widerstände einer Menge kleiner, zäher Bedenken eingeschoben , und überwinden wir diese so hatte die Sache eben von vonrne herein andere Bedeutung.

Bei einem Menschen legt sie diese Härte in seinen Charakter, in sein Bewußtsein als Mensch, in sein Verantwortlichkeitsgefühl, ein Teil der Weltseele zu sein. Verliert nun ein Mensch sein Bewußsein, so verliert er sich selbst.

Hat aber ein Mensch sich selbst verloren und sich aufgegeben, so hat er das Besondere, da Eigentliche verloren, weswegen ihn die Natur als Mensch geschaffen hat. Und niemals kann man so sicher sein als in diesem Falle, daß man es mit etwas Unnotwendigem zu tun habe, mit einer leeren Form, mit etwas, das von der Weltseele schon längst verlassen wurde. "

S. 59 "Beineberg: Solche Menschen wie Basini, sagte ich dir schon früher, Bedeuten nichts – eine leere, zufällige Form. "

Die Folter: Drohung, Entwürdigung, Entmenschlichung, rohe Gewalt ,Entkleidung (Vergleich: Reise hinter den Spiegel: ebenso, Entkleidung.)

S. 57 "Törleß erschrak. Er blickte erschrocken auf Beineberg. Dieser hatte die Augen bis auf einen kleinen Spalt geschlossen und erschien ihm wie eine unheimliche, große, ruhig in ihrem Netze lauernde Spinne. Seine letzten Worte klangen kalt und deutlich wie die Sätze eines Diktats in Törleß´ Ohren. "

S. 68 "Das Schloß leistete Widerstand. Es saß durch eine jahrelange Ruhe fest und wollte dem Nachschlüssel nicht gehorchen. Eindlich schlug es mit einem harten Laut zurück; der schwere Flügel rieb widerstrebend im Roste der Angeln und gab zögernd nach.

Aus dem Bodenraum schlug eine warme, abgestandene Luft heraus, wie die kleiner Treibhäuser. .. Überhaupt war die ganze Umgebung äußerst beklemmend: Die Hitze unter dem Dach , die schlechte Luft und das Gewirre der mächtigen Balken, die teils nach oben zu sich im Dunkel verloren, teil in einem gespenstischen Netzwerk am Boden hinkrochen.

..Da knarrte am entgegengesetzten Ende im Dunkeln die Tür. Es folgten einige unsichere Schritte, das Anschlagen eines Fußes gegen dröhnendes Holz, ein mattes Geräusch, wie von dem Aufschlagen eins Körpers...Stille... Dann wieder zaghafte Schritte.. Warten.. Ein leiser menschlicher Laut...."

S. 69

" Und in dem Augenblicke gab ihm Reiting einen Faustschlag ins Gesicht, so daß er rückwärts taumelte, über einen Balken stolperte, stürzte, Beineberg und Reiting sprangen ihm nach. Törleß unterschied aus den Geräuschen, daß sie Basini die Kleider vom Leibe zogen und ihn mit etwas Dünnem, Geschmeidigen peitschten. Sie hatten dies alles offenbar schon vorbereitet gehabt.

Er hörte das Wimmern und die halblauten Klagerufe Basinis, der unausgesetzt um Schonung flehte, Schließlich vernahm er nur noch ein Stöhnen, wie ein unterdrücktes Geheul, und dazwischen halblaute Schimpfworte und die heißen leidenschaftlichen Atemstöße Beinebergs. "

Der unbewußte Grund des Folterns: Musil: Befriediung von Machtlust, sexuelle Erregung (Vergleich: Reise hinter den Spiegel: Befriedigung von Machtlust und Kontroll-Lust)

S. 70

"Törleß fühlte sich durch diese klagenden Laute angenehm berührt. Wie mit Spinnenfüßen lief ihm ein Schauer den Rücken hinauf und hinunter; dann saß es zwischen den Schulterblättern fest und zog mit feinen Krallen seine Kopfhaut nach hinten. Zu seinem Befremden erkannte Törleß, daß er sich in einem Zustande geschlechtlicher Erregung befand. "

S. 72

Entwürdigung: Der Gefolterte: ein Tier (Vergleich mit Reise hinter den Spiegel: Der Gefolterte: eine zweibeinige Sackratte)

"Dort setze dich nieder! Reiting wies auf den mächtigen Balken. Basini gehorchte. Reiting hub an zu sprechen an: Du hast wahrscheinlich schon geglaubt, daß du fein heraus bist; was? (...)

Basini macht eine abwehrende Bewegung. Reiting drohte wieder auf ihn zu springen. (..) Es trat ein kurzes Schweigen ein. Da sagte plötzlich Törleß leise, fast freundlich: Sag doch, ich bin ein Dieb.

Basini machte große fast erschrockene Augen. Beineberg lachte Beifällig. Aber Basini schwieg. Da gab ihm Beineberg einen Stoß in die Rippen und schrie ihn an:

Hörst du nicht , du sollst sagen, daß du ein Dieb bist! Sofort wirst du es sagen!

Abermals trat eine kurze, kaum wägbare Stille ein; dann sage Basini leise, in einem Atem un mit möglichst harmloser Betonung: ich bin ein Dieb. Beineberg und lachten vergnügt zu Törleß hinüber: Das war ein guten Einfall von dir, Kleiner, und zu Basini: Und jetzt wirst du sofort noch sagen : ich bin ein Tier, ein diebisches Tier, Eurer diebisches schweinisches Tier!

Und Basini sagte es, ohne auszusetzen und mit geschlossenen Augen. "

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