Donnerstag, August 10, 2006

"...Only twelve months have passed - and look at our theatre!" Heino Ferch als Jakob Gens in: Ghetto. Teil 3. Germany Lithuania 2004-2005/06

"...Only twelve months have passed - and look at our theatre!" Heino Ferch als Jakob Gens in: Ghetto. Teil 3. Regie: Audrius Juzenas, Buch: Josuah Sobol, Germany Lithuania 2004-2005/06



von: ignazwrobel

Hören statt lesen: Audio.mp3 ( Text exkl. Dialoge und Sprecher: ignazwrobel)


Only twelve months have passed - and look at our theatre!

Kurz vor Vorstellungsbeginn. Das Theater ist voll besetzt.

Die Gäste tragen zwar festliche, aber warme Kleidung. Der Saal scheint unbeheizt. Totale aus dem Publikum zur Bühne.

Der Bühnenvorhang ist geschlossen und dekoriert mit großen weissen Ziffern und einem Bild. Die Jahreszahlen 1942 und 1943 umrahmen eine Holzschnitt-Grafik, die ein Gässl des Ghettos zeigt, vor dem sich ein roter Theatervorhang öffnet.

Gens betritt die Bühne. Schwarze Uniform mit Koppel und Reitstiefeln, Revers mit Hemdkragen und schwarzer Krawatte, Pistole, die weisse Armbinde mit dem blauen Sechszackstern am Oberarm, die ihn als Juden kennzeichnet.

Applaus. Gens scheint hochgestimmt, freudig erregt. Mit einer Geste bringt er den Beifall zum Verstummen. Er setzt zu seiner Rede an:

Ladies and Gentlemen, One year ago, when we opened this place, some people said that you don´t play theatre in a graveyard. Only twelve months have passed, - and look at our theatre!

Schnitt.

Blick ins Publikum, man hört gespannt zu. In der ersten Reihe sitzen Funktionäre, Weißkopf, Dessler jeweils mit Frau, Kittel, Gens´ Platz ist frei.

One hundred and ten performances - more than thirtyfive thousand tickets were sold in the Ghetto with a population of only fiveteen thousand people.

Tosender Applaus.

All our shows are sold out weeks in advance!

Ladies and Gentlemen - I am proud to announce the song which won the competition launched by the Ghetto-Council for this special occasion.

The price-winning song was written by the eleven year old composer Alex Wolkowitzky and will be performed by the Ghetto Children´s Choir.

Seine letzten Worte gehen im lautstarken Beifall unter. Gens gibt die Bühne frei, der Vorhang hebt sich.

Der Bühnenraum ist verschlossen durch einen zweiten Vorhang, der aus Kleidern mit gelben Judensternen, den Kleidern von Toten besteht. Unwille im Publikum.

We don´t want this kind of theatre! We want good Theatre!

Dieser zweite Vorhang geht jetzt ebenfalls hoch. Dahinter hat der Chor der Kinder Aufstellung genommen.

Im Zuschauerraum wird es still.

Sehr still.

Man blickt gebannt zur Bühne.

Der erste Ton eines einzelnen Knabensopran durchbohrt diese Stille wie ein gläserner, ein goldener Pfeil, durchschwebt den Saal wie schimmernde schwebende Seide.

Der junge Komponist singt ein Solo.

Die Stimmen der anderen Kinder, eine Faubourdon-Quint über dem melancholischen Melodiebogen des Solos, lassen an eine Glasharfe denken, an eine Windharfe, deren Saiten ein zarter Windhauch durchstreicht.

Am Ende des Solos nimmt eine Geige die Melodie auf, dramatisch, expressiv, klagend.
Blick ins Publikum. Sehr ernste Gesichter, traurige Gesichter, mutlose Gesichter.
Schnitt. Nahaufnahme Chor.

Die Kinder, unterschiedlichen Alters, von vier bis vierzehn etwa, singen. Alle schwarzweiß gekleidet, alle mit Judensternen. Ganz vorne in der ersten Reihe fällt uns ein kleines Mädchen auf. Es hält einen braunen Stoffbären an sich gepresst, zwei aufmerksame Kinderaugen glänzen über dem Kopf des Bären. Sie hört zu, singt selbst nicht, dazu ist sie noch zu klein. Sie ist vier, vielleicht fünf.

Sie scheint nicht zu wissen, an welch furchtbarem Ort sie ist, sie kennt es ja nicht anders.
Man hat sie hier hingestellt, die anderen Kinder singen, sie wiegt sich ein wenig zur Musik, für sie scheint es nur schön.

Den Text begreift sie noch nicht. Sie weiss nichts von vorher oder nachher, von Guten und Bösen, von Mördern und Gemordeten. Sie macht willig mit.

Unschuld.

Die Erwachsenen wissen mehr. Einzelne Frauen weinen.

Das Lied ist zu Ende. Blick ins Publikum. Niemand bewegt sich. Gens, der in der ersten Reihe sitzt, ist, wie die anderen, aufgewühlt, betroffen, aber zu keiner Bewegung in der Lage.

Da steht in einer der rückwärtigen Reihen eine Frau auf und beginnt unter Tränen zu applaudieren.

Die Versteinerung im Publikum ist augenblicklich gelöst, Bravorufe, die Menschen erheben sich von den Sitzen und klatschen im Stehen. Die Stimmung gleitet mehr und mehr in gelöste Begeisterung. Jetzt erheben sich auch die Funktionäre. Gens, immer noch sehr bewegt, applaudiert demonstrativ.

Der Vorhang fällt. Wenn er sich in einigen Augenblicken wieder hebt, wird Kittel, der "Schlächter von Wilna", die Bühne nutzen für sein Spiel.

- - -
2004-2006 Heino Ferch - Jakob Gens, Sebastian Hülk - Bruno Kittel, Erika Marozsan - Hayah, Jörg Lamprecht - Dessler, Vytautas Sapranauskas - Weisskopf, Andrius Zebrauskas - Srulik, der Bauchredner. Musik(dramaturgie) - Anatolijus Senderovas
- - -

Das Lied von Ponar (->zu den Noten)

Still, still, lasst uns schweigen, Gräber wachsen hier. Die Feinde haben sie gepflanzt, wachsen sie grün ins Himmelblau

Still, mein Kind, weine nicht, Schatz, es hilft kein Weinen. Unser Unglück werden die Feinde Ohnehin nicht verstehen

Frühling ist ins Land gekommen,. hat uns den Herbst gebracht. Ist der Tag heute auch voller Blumen, uns sieht nur die Nacht.

Die Finsternis zerrinnt, aus dem Dunkel leuchten Sonnen.Reiter, komm´ geschwind, dich ruft dein Kind.

Es führen Wege nach Ponar hin, kein Weg führt zurück. Ist der Vater dort verschwundenUnd mit ihm das Glück.

Selbst die Meere haben Grenzen, die Lager haben Zäune, nur unsere Qual nimmt kein Ende.
Vergoldet der HerbstSchon die Zweige,blüht in uns der Schmerz.

Eine Mutter bleibt vereinsamt, ihr Kind muss nach Ponar.


Die Finsternis zerrinnt, aus dem Dunkel leuchten Sonnen.Reiter, komm´ geschwind, dich ruft dein Kind.

Stiller, stiller, es brodeln QuellenIn unseren Herzen. Doch solange die Tore nicht fallen, müssen wir stumm bleiben.

Freu´ dich nicht, Kind, dein Lächeln ist jetzt für uns Verrat. Der Feind soll den Frühling Erleben wie das Blatt den Herbst.

Lass die Quelle ganz leise fließen, sei still und hoffeMit der Freiheit kommt der Vater, schlaf doch, mein Kind, schlaf.

Wie die eisbefreite Wilja, wie die grün erblühenden Bäume, so leuchtet bald das Freiheitslicht auf deinem Gesicht.