Donnerstag, August 10, 2006

"... Betty, ich will das Kind!" Heino Ferch als Michael Brauer in: Das Baby der schwangeren Toten. Teil 1A: Einführung. - Buch und Regie Wolfgang Mühlbauer, Bavaria Film für RTL 1993-1994

von: ignazwrobel

Bildquelle und alle Bildrechte bei Bavaria Filmproduktionsgesellschaft für RTL


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Einleitung

Im Bann der Dämonen, Nebel des Grauens, Schreie aus dem Jenseits, Die Nacht der lebenden Toten, Die unglaubliche Geschichte des Mister C., Das Dorf der Verdammten, Das Baby der lebenden Toten, Lebendig begraben, Die Seele des Bösen, Gedenke des Todes, Rosemary´s Baby...Der Titel unseres Films (-welcher aus der Liste oben ist es denn überhaupt?) fügt sich so nahtlos in die Titelliste bekannter Horrorfilme, daß die reisserische Betitelung als List gesehen werden muss, Zuschauer zu interessieren für ein sehr delikates und unattraktives Thema:
Euthanasiediskussion.

Die Geschichte ist angeregt von Ereignissen, die tatsächlich stattgefunden haben. Marina Ley (Anna Utzerath), die Verlobte von Michael Brauer (Heino Ferch im Alter von ca. 29/30), im vierten Monat schwanger, fällt nach einem Verkehrsunfall ins Koma, wenige Tage später wird der Hirntod festgestellt.

Intensivmedizinische Versorgung erhält die Lebensfunktionen ihres Körpers.Die Frage:Soll der Körper einer Hirntoten, die im vierten Monat schwanger ist, so lange per Apparatemedizin in Funktion gehalten werden, bis das Kind ausgetragen ist? Bis zu welcher Grenze ist der äskulapische Eid im Zeitalter der Intensivmedizin zu interpretieren?

Hat der behandelnde Arzt die Verpflichtung, das ungeborene Leben zu erhalten, wenn seine ärztliche Kunst ihm dies ermöglicht? Schnell prallen kontroverse Haltungen der Beteiligten aufeinander, ebenso schnell wird sichtbar, dass der Plan, physiologischen Lebensfunktionen der hirntoten Schwangeren bis zum Geburtstermin des Kindes aufrecht zu erhalten, weit mehr ist als ein rein schulmedizinisches Problem. Ethische Maximen verschiedener Beteiligter werden verletzt, Ausgrenzungsproblematik im Falle des Gelingens ist vorprogrammiert.

Mit Fingern wird man wohl auf das Kind "der schwangeren Toten" zeigen. Die Positionen der Beteiligten Dr. Baumann (Udo Wachtveitl), der behandelnde Stationsarzt:

Es gibt vielleicht eine Möglichkeit, ihr Baby zu retten. Prof. Stuck will die Möglichkeit prüfen, wir haben so einen Fall bis jetzt noch nicht gehabt. Der optimale Zielkorridor wäre die vierunddreissigste Woche. – also zwanzig Wochen noch.

Professor Stuck (Hans Zischler), der verantwortliche Oberarzt, sieht die Verpflichtung, dem ungeborenen Kind ins Leben zu helfen:


Professor Stuck (Hans Zischler) Bildquelle und alle Bildrechte bei Bavaria Filmproduktionsgesellschaft für RTL

Der Fötus ist ein Wesen, das einen Anspruch auf Leben anmeldet.

Der Chefarzt des Krankenhauses:


Was ihr Frauen immer mit dem Kinderkriegen habt! In Wirklichkeit ist Euer Verdienst, dass ihr die Föten mit Sauerstoff und Glukose versorgt. Frau Prof. Sutter (Eva Kryll) aus dem Ärzteteam:

Eine Mutter als Brutkasten! Eine Leiche als Retorte, mit der sich ein Baby erzeugen lässt?

Mutter und Kind sind doch eine Einheit! Es lebt in der Mutter, mit ihr, teilt ihre Gefühle, sammelt erste Lebenserfahrungen. Dein Embryo lebt in einem Körper ohne Seele!

Betty Ley (Rosel Zech), die Mutter der schwangeren Toten:

Marina hätte das nicht gewollt. Ich will nicht, dass man sie quält, wie man meinen Mann gequält hat. (er war ein halbes Jahr bis zu seinem Tod der Intensivmedizin ausgeliefert) Und wenn das Kind da ist und was ist dann? Es hat nicht mal eine Mutter!Michael Brauer, Micha (Heino Ferch)
Marinas Verlobter:

Betty, ich will das Kind. Marina würde es auch wollen. Ich werde für das Kind kämpfen. Das Kind hat mich – und es hat Dich.

Das Kind ist zum Entscheidungszeitpunkt in der vierzehnten Woche, Kopf, Arme, Beine, Mund, Augen, Nervensystem sind bereits vorhanden. Man entscheidet sich nach Diskussion für die Durchführung des Versuches.

Betty Ley, Marinas Mutter, erklärt sich -nach extensiver Druckausübung auf sie seitens ihres Schwiegersohnes Micha- auch einverstanden.

Wir begleiten Michael Brauers Weg zwischen Hoffnung, Trauer, Leidensdruck, Wut, Zweifeln und immer wieder Hoffnung, sein Kind in dieser Welt begrüßen zu können.

Wir sehen anfangs, wie Micha zunächst langsam, dann in einzelnen schockierenden Momenten immer klarer begreifen muss, dass seine Gefährtin, seine Verlobte verstorben ist.

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Kommentar:

Der Tod eines blutsverwandten Kindes ist wiederkehrend Thema von Figuren des Darstellers.
Z.B Volker Bretz in Straight Shooter: seine kleine Tochter stirbt nach Krankheit, Simon Lechner in Grüne Wüste: sein Sohn stirbt nach Krankheit, Hanno Schmidbauer in Deutschlandlied: sein Kind darf nicht ins Leben kommen, Lisa stoppt die Schwangerschaft, Julien Keller in Le Lion, sein Söhnchen starb nach Krankheit und Michael Brauer in Das Baby, für den monatelang das Ins-Leben-Treten oder Sterben seines ungeborenen Kindes unklar ist.

In Extremis verschulden manche Figuren sogar den Tod von Kindern: Vercingetorix in Julius Caesar: seine Kinder verhungern aufgrund seines eigenen Befehls, Raufeisen in Der Unhold, der seine Zöglinge in die Schlacht schickt, und Gens in Ghetto, der den Tod der dritten Kinder veranlassen muss.


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Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage…

Figuren mehrerer Projekte interpretieren wiederholt verschiedene Zeilen des Hamlet-Monologes:

Plato in Spiel um Dein Leben, Vercingetorix in Julius Caesar, Michael Brauer in Das Baby und für uns Zuschauer aktuell: Gens in Ghetto. Sein oder Nichtsein. Die Frage spitzt sich bis zur Situation des Selbstmordversuches von Jakob Gens zu, nachdem er über Sein oder Nichtsein von Kindern entscheiden musste.

Der Nazikommandant Kittel führt die „Aktion“, die dritten Kinder der Ghetto-Familien nach Auschwitz zu schicken auf der Bühne sogar mit dem Hamlet – Zitat „... oder Nichtsein?“ als bösartig sarkastische Frage an Gens ein, der in einem Antwortversuch auf Kittels Befehl den Satz begonnen hatte: "Sein...?"

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Neue Zeichnung Jakob Gens"Ghetto" . Gens glaubt, nicht mehr weiter leben zu können, nachdem er auf Kittels Befehl die dritten Kinder jeder Familie nach Auschwitz schicken mußte.

Es gibt, wie ich finde, kaum eine treffendere Bildformel für die Einsamkeit von Gens Schuldgefühl und seiner Erkennntnis, dass es keine Zukunft für ihn und die Seinen gibt, als dieses von Trauer verschattete Gesicht - mit dem glatten kalten Eisen der Pistole an seiner Schläfe-, das ganz allein in völliger Dunkelheit schwebt .

Der Moment, das Bild-Motiv ist ausgewählt aus der Erinnerung an das Münchner Kruzifix, das sog. "einsame Kruzifix" von Peter Paul Rubens. Eindringlicher habe ich den Moment größter Einsamkeit nie und nirgendwo dargestellt gesehen.