Donnerstag, August 10, 2006

"...Charlotte ist tot." in: Das Konto Teil 6a. Heino Ferch als Dr. Michael Mühlhausen. Regie: Markus Imboden. Buch: Martin Pristl, M. Imboden, 2003-20

"...Charlotte ist tot." in: Das Konto Teil 6a. Heino Ferch als Dr. Michael Mühlhausen. Regie: Markus Imboden. Buch: Martin Pristl, M. Imboden, 2003-2004

von: ignazwrobel


„...Charlotte ist tot.“

Vor der Szene

Dr. Mühlhausen führt ein letztes Telefonat mit seiner Frau Charlotte, die das belastende Unterlagenmaterial von Dirk Osterwald im Hotel Atlantik bei sich hat. Dr. Funke ist ebenfalls im Hotel auf einer Tagung. Sie will ihm die Unterlagen zeigen und ihn warnen.

Mühlhausens dringende Bitte an seine Frau, diesen gefährlichen Vorstoß zu unterlassen, bleibt ungehört. Charlotte hat den Telefonhörer, abgelenkt von Funkes Auftauchen im Hotelfoyer, zu früh aufgelegt.

Mühlhausen sieht keine andere Möglichkeit, Charlotte abzufangen, als sich selbst ins Hotel Atlantik zu begeben. Über den Lieferanteneingang findet er unbemerkt Eintritt und eilt gehetzt das Feuerflucht-Treppenhaus hinauf Richtung Zimmer.

Durch ein offenes Fenster geht sein Blick zufällig hinunter auf das Dach des Verbindungstraktes von Vorder- und Rückgebäude.

Auf dem Dach kniet ein Notarzt und versucht, eine Frau, die dort regungslos liegt, zu reanimieren. Das Gesicht der Frau ist überströmt von Blut, das aus ihrem Ohr gelaufen ist. Typisches Zeichen für Schädelbruch.

Mühlhausens zweiter Blick erkennt die Frau. Kein Zweifel. Es ist Charlotte.

Er muss hilflos zusehen, wie der Arzt offensichtlich nur noch den Tod feststellen kann. Sekunden später überdeckt ein Sanitäter die Leiche Charlottes mit einer Plane.

Ein offenes Fenster einige Stockwerke weiter oben erklärt den Zusammenhang. Charlotte wurde offensichtlich dort oben hinausgestoßen.
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Dr. Mühlhausen macht sich per ICE auf den Weg nach Paris zu seiner Tochter, die bei der Familie seiner Schwägerin zu Gast ist. Er vermutet auch sie in akuter Gefahr und bittet Nicole, seine Schwägerin, per Telefon direkt aus dem Zug heraus, mit der ganzen Familie die Privatwohnung zu verlassen und im Café, in dem er, Mühlhausen, seine Frau kennengelernt hatte, auf ihn zu warten.

„...Charlotte ist tot.“

Die Szene.

Ankunft Mühlhausens im Gare du Nord, er zwängt sich zwischen Touristenmassen hindurch zum Ausgang und nimmt ein Taxi zum verabredeten Café , der Brasserie Grand Comptoir d´Alesia im 14. Arrondissement.

Er betritt die Brasserie, trifft am Tresen sofort auf seinen Schwager und fragt ihn nach einem kurzen Wort der Begrüßung nach Hannah, seiner Tochter. Die ist gerade im Lady´s Restroom.

Mühlhausen wartet nicht. Er geht Richtung Tür, die zu den Toiletten führt. Seine Schwägerin Nicole kommt ihm entgegen.

Michael!

Was ist passiert?

Mühlhausens Antwort: ich muss gleich wieder weg.

Er geht sofort weiter zur rückwärtigen Tür, drückt sie auf und ruft gehetzt den Namen seiner Tochter.

Nicole geht ihm nach, äußerst besorgt, hält ihn an und dreht ihn zu sich her.
Michael!

Sag´ mir bitte, was los ist.

Bevor Michael antworten kann, kommt Hannah aus der Tür.
Papa!

Mühlhausen fährt herum, drückt sein Kind an sich, erleichtert.

Hannah..!

Seine desorientierte Erregtheit passt nicht zu seiner kumpelhaften Frage:
Alles klar?

Hannah nickt- verwundert. Sie spürt natürlich, dass etwas sehr Schlimmes sein muss, das ihren sonst so coolen Vater so extrem aufgeregt sein läßt. Sie geht sofort ohne Diskussion mit. Vater und Tochter bewegen sich Richtung Tür, Nicole folgt den Beiden

Wo willst Du denn hin?

Mühlhausen im Gehen, über seine Schulter:

Ich kann Dir jetzt nix erklären... ...es geht nich.

Mühlhausen atmet immer noch heftig erregt.

Er bittet seinen Schwager Gerard um das Auto der Familie.

Können wir Euren Wagen haben? ..bitte!

Die Gruppe steht jetzt wieder am Tresen in Türnähe. Nicole lässt sich nicht abschütteln. Sie packt Michael am Arm, sieht ihn drängend intensiv an, betont jedes Wort, als sie fragt:

Wo ist Charlotte?

Michael erwidert Nicoles Blick gehetzt, unruhig, dann nimmt er ihre Hand, die noch immer auf seinem Arm liegt und zieht Nicole weg von seiner Tochter Hannah und Gerard, seinem Schwager.

Er zieht sie einige Schritte weiter, außer Hörweite.

Halbtotale auf Hannah und Ihren Onkel.

Beider Gesichter sind angespannt, fragend.

Hannah ist verunsichert, das Verhalten ihres Vaters zeigt ihr überdeutlich, dass etwas Extremes passiert sein muss. Ihre Gefühle scheinen zwischen Frage, Ratlosigkeit und Tränennähe zu flackern.

Schnitt auf Mühlhausen und seine Schwägerin. Amerikanische

Wir sehen von Mühlhausen nur Rücken und Hinterkopf. Er steht dicht vor Nicole und flüstert eindringlich und schnell auf seine Schwägerin ein. Zuerst sieht sie Michael an, dann plötzlich, als könnte sie nicht glauben, was sie hört, dreht sie den Kopf weg und wirft über die Schulter ihres Schwagers hinweg erschrocken einen Blick zu uns, zu Hannah.

Ihr Mund öffnet sich, das Gesicht spiegelt Fassungslosigkeit. Es ist offensichtlich, dass Mühlhausen etwas über Hannah sagt.

Nicoles Knie geben nach, sie droht, einzubrechen, Mühlhausens Arm fährt in einer kleinen Bewegung zu Nicoles Taille, er hält den Einbruch auf, scheint sie wieder hochzuziehen. Das ganze wiederholt sich zweimal.

Mehr muss Hannah nicht sehen.

Ruckartig dreht sich Mühlhausen jetzt von seiner Schwägerin weg, dirigiert Hannah aus dem Lokal. Hannah kann gerade noch ihre Jacke vom Tresen nehmen, ihr Vater fasst sie an der Schulter und steuert sie zur Tür.

Hannah: Pappa was ist denn los...?

Er flüstert: komm....

Zu Gerard, schnell: Au Revoir..

Schnitt. Place St. Sulpice, 6. Arrondisement.

Audio.wma (Text und Sprecher: ignazwrobel)

Vater und Tochter sind wohl ein Stück mit dem Auto gefahren, haben angehalten, sind ausgestiegen.

Jetzt gehen sie nebeneinander her, im Hintergrund sehen wir die gigantischen Säulen des klassizistischen Tempelportals der Kirche St. Sulpice, die anderen Platzseiten sind von grünen Bäumen umstanden.

Mühlhausen geht einen Schritt vor seiner Tochter, Hannah versucht mitzuhalten.

Very Close up Mühlhausens Gesicht, wir laufen direkt neben den beiden. Mühlhausens Züge verkrampfen sich mehr und mehr, er starrt beim Gehen geradeaus, die Augen rot umrändert, etwas zieht sich gewaltsam in ihm zusammen. Seine Tochter wirft einen sichernden Blick zu ihm hoch, läuft weiter neben ihm her. Dann:

Sag´es doch!

Hannah sieht genauso wie wir, dass ihr Vater eigentlich weint. Tränen - nein, aber sein Gesichtsausdruck ist der eines weinenden Menschen.

Die beiden bleiben stehen.

Michael blickt immer noch geradeaus.

Wir sehen, dass er antworten will, - und dann doch wieder nicht.

Er kann nicht-
er schluckt mehrmals, ist am Rande seiner Fähigkeit, die Fassung zu bewahren.


Endlich gibt er dem Druck seiner Tochter nach.

Er sieht sie mit einem Ruck an, setzt an, ihr zu antworten.

Es geht doch nicht, sein Blick irrt noch einmal ab. Er zwingt sich, seine Tochter wieder anzusehen.

Er sagt, leise und weich:

Charlotte ist tot.

Er sagt nicht. Mama ist tot, vielleicht, um seine Tochter noch irgendwie zu schonen.

Aber er selbst hat es jetzt gehört.

Charlotte ist tot.

Die laut ausgesprochenen Worte haben das Unbegreifliche zur Realität gemacht.

Realität ist auch, dass dieser Mann jetzt und hier vor seiner vierzehnjährigen Tochter weint.

Nein, nicht ein wenig. Es ist der Moment, in dem er völlig zusammenbricht. Das Mädchen muss zusehen, ein, zwei Sekunden lang. Sie ist wie erstarrt.

Die Mutter ist tot und der Vater.... verlässt in diesem Moment durch sein haltloses Weinen die Position des letzten Eck- und Haltepunktes im Leben der Halbwüchsigen.

Bevor diese Katastrophe Platz greifen kann, tut Mühlhausen instinktiv das Richtige. Er nimmt sein Kind in den Arm und drückt es an sich. Der Körperkontakt stützt das Kind und das Kind stützt ihn. Hannah drückt ihren Kopf an die Brust ihres Vaters, klammert sich an ihn. Beide halten sich aneinander fest.

Mühlhausen weint noch immer. Er nimmt sein Kind fester in den Arm, hält ihren Kopf an sich gedrückt.

Die Kamera umfährt die beiden, sie da stehen wie zu einem Block verschmolzen.
Seine Körperwärme schafft es, seinem Kind den Halt zu geben, den er ihr jetzt nicht durch Worte geben kann.


2003-2004 Heino Ferch - Dr. Michael Mühlhausen, Nadine Fano – Hannah Mühlhausen (Nadine Fano war die Klara in der sensiblen Verfilmung von Johanna Spyris „Heidi“ von 2001, Regie: Markus Imboden.)