Sonntag, September 04, 2005

"..Er hatte Tränen in den Augen. Er dachte, ich hasse ihn." in : 2 Männer 2 Frauen 4 Probleme, Regie Vivian Naefe 1996-97



Bildquelle und Bildrechte bei Buena Vista und Olga-Film. Higrd: Caravaggio Madonna von Loreto


"..Er hatte Tränen in den Augen. Er dachte, ich hasse ihn." in : 2 Männer 2 Frauen 4 Probleme, Regie Vivian Naefe, Drehbuch: Barbara Jago, Pamela Katz, Vivan Naefe, Walter Karge, 1996-97


Text: ignazwrobel

Lebensentwürfe.

Nick, Eva und die Kinder sind in einen nachts unbewohnten Palast (das kommt in Venedig häufig vor, die Venezianer verlassen abends die uralten Palazzi und fahren zu ihren neuen Wohnhäusern am Festland) eingebrochen, um dort zu nächtigen. Er ist in der verstaubten Pracht des neunzehnten Jahrhunderts eingerichtet.

Die Nacht zuvor am Strand von Jesolo war kalt und feucht gewesen.

Die aggressive Stimmung zwischen den beiden beruhigt sich. Am Tag zuvor hatten sie sich noch mit Matschbirne, Ziege, tote Hose und dumme Kuh tituliert.


Kaminstunde. Klavier spielen.

Im mannshohen offenen Kamin flackert ein gemütliches Feuer.

Nick steht davor, um sich zu wärmen. Die Kinder sind bereits im Bett in einer anderen Stanza, Nick und Eva sind allein.

Eva hatte das alte Konzert-Klavier im Salon kurz angespielt, Nick stand da und hörte zu. Jetzt kommt Eva heran und bleibt im Türrahmen stehen.

Nick leise und trocken Ich versteh das nicht.

Eva Was?

Sie ist guter Laune vom Klavierspiel, lächelt angeregt, milde. Sie wirkt ganz jung und sanft.

Nick Sie spielen so gut. Warum haben Sie nicht längst...

Eva ....einen Beruf daraus gemacht?

Nick bestätigt ihr Satzende mit einem Nicken. Die aggressive Kälte ist ganz und gar von ihm abgefallen, der geschniegelte Anzugträger mit Harvard-Goldrandbrille ist völlig verschwunden.

Jetzt sehen wir einen Mann, der einfach nur er selbst ist.
Der nichts beansprucht, nichts repräsentieren will.

Der drängend oktroyierende Wille ist verstummt, er ist in ruhigem Fahrwasser, hört einfach zu.

Seine Hände sind locker in den Hosentaschen versenkt, das heilige Statussymbol Schlips abgelegt, der oberste Knopf seines Hemdes bequem geöffnet.

Eva Die Gründe dafür sind drei und sechs Jahre alt.

Eine Zeitlang habe ich jede Nacht gearbeitet, um das Geld für die Klavierstunden zu verdienen und ziemlich viel geübt.

Nick lächelt. Freundlich. Einfach so. Er lächelt zum ersten Mal.

Eva spiegelt sein Lächeln und erzählt weiter.

Irgendwann hab´ich dann vorgespielt. Jedem Idioten in der Stadt.

Nick richtet sich auf, seine Lidschlagfrequenz erhöht sich: er hört aufmerksam zu.

Und dann hab ich meinen ersten Job bekommen. Ich hab´wirklich einen bekommen.

Im Quincy´s.

Nick hebt den Kopf. Wir hören ein leises Ja.

Eva merkt, das da was nicht stimmt, sie schaut ihn zweifelnd an. (Quincy´s – kennt er das?)

Er hält kurz ihrem bohrenden Blick stand. Dann – er zögert noch einen Augenblick, schaut nach oben - schmilzt seine Haltung in ein entschuldigendes Lächeln, er läßt den Kopf sinken und sieht hinreissend unsicher zu Boden.

Als er wieder Blickkontakt findet, zucken seine Schultern andeutungsweise entschuldigend. Er weiss zum ersten Mal in seinem verdammten Leben etwas nicht und gibt es zu:

Ja.. kenn ich nicht.

Er schickt seinen Worten ein unsicheres kleines Lächeln hinterher. Seine Schläfen wirken auf einmal offen und ungedeckt. Wir schmelzen dahin. Hach, ist das ...sympathisch. Wir mögen ihn plötzlich. Er zeigt Schwäche. Ein Mensch!

In diesem Augenblick erreicht die Figur Nick Leonhard in ihrer inneren Entwicklung den dialektischen Umschlagspunkt.
Die Betonhülle reisst, der Eispanzer bricht.

Eva Das kennt niemand! Louis war da Stammgast. Es war eine schöne Zeit.

Nicks Lächeln verstummt, er wirkt nachdenklich.

Ich hab jede Nacht dort gespielt und konnte von dem leben, was ich am liebsten mache. –

Eva ist auch ganz ernst geworden. Sie sieht ein bisschen traurig aus.

Ich will das wieder.

Sagt sie und blickt in eine imaginäre Ferne.

Nick hat sich dezent aus dem Blickkontakt zurückgezogen und den Kopf gesenkt. Bevor er sich wegdreht, um zum Kaminfeuer zu gehen, wirft er ihr noch einen sichernden Blick zu, ob sie in Ordnung ist.



Der Vater.

Eva folgt ihm ... und Sie? Bilderbuchkarriere?

Sie nimmt vor dem Kamin am Boden Platz. Er steht an die übermannshohe Kaminumrandung aus rotem Marmor gelehnt.

Er reisst tabellarisch seinen CV herunter:

- Abitur - Studium in Rekordzeit - Erstklassige Noten - Topkanzlei - Achtzig gewonnene Prozesse ...

Eva zieht währenddessen müde ihre Jacke aus, sitzt im roten Trägershirt. Wir können ihre volle Büste und die makellosen goldbraunen Arme nicht übersehen.

Close up auf Nicks Gesicht.

....viel......... viel Arbeit.......

sagt er leise und bemerkt ebenfalls Evas Körper.

Sein Gesicht hat sich angenehm verändert. Die Spannung um die Augen ist verschwunden. Seine Mundwinkel sind zwei freundliche kleine Akzente.

Die Augen mit den weitoffenen Pupillen wirken wie ruhige dunkle Räume - belebt von den milden Reflexen der Glanzlichter.

Das warme Licht mildert alle Schärfe, wir sehen auf einmal einen ganz jungen Mann.

Eva, ruhig und müde:....Beneidenswert

Er ...finden Sie....?

..manchmal auch ganz schön einsam....und langweilig. Er wirkt frustriert.

Eva ....aber Sie sind nicht langweilig

Nick Das hätte mal mein Vater hören müssen

Eva Warum?

Nick Für den zählten nur Künstler und Arbeitslose, Anwälte hat er gehasst.

Eva Was war Ihr Vater?

Nick Sänger.

Eva Und Ihre Mutter?

Nick Sängerin.

Furchtbares Leben. Ewiges Herumtingeln. Schreckliche Wohnungen. Ich hab´s so gehasst. Mit sechzehn bin ich weg. Ich wollt´ ein normales Leben, aber keiner hat´s kapiert.

Nick referiert:

Als ich ausgezogen bin, hat mein Vater mir zum Abschied die Hand gedrückt, hat sich umgedreht und ist gegangen. Ohne ein Wort.

Schnitt auf Eva: Sie schaut erschrocken, zunehmend bestürzt.

Very Close Up auf Nick. Sein Gesicht und seine Stimme sind fast unbewegt, während er erzählt:

Er hatte Tränen in den Augen. Er dachte, ich hasse ihn.

Ich wollt´ihm sagen, dass es nicht wegen ihm ist und dass ich ihn liebe. Aber er ist gegangen, hat sich nicht umgedreht, er ist gegangen.

Die letzten drei Worte betont er, als fände er die Reaktion seines Vaters unbillig hart und gnadenlos, unerklärlich, lieblos.
Sein Blick ist leer, die Augen zwar weit offen, er sieht jedoch nichts in dieser Gegenwart.
Er sieht bedauernd aus, fast traurig, fast resigniert - und so, als könne er nicht verzeihen.

Ich hatte so gehofft, dass er sich umdreht, das ich´s ihm sagen kann.

Er blickt zu Boden, dann in die Ferne, sehr frustriert.

Er hat´s nicht getan.

sagt er leise, sehr bedauernd, nachtragend. Da ist etwas zerbrochen, ungekittet geblieben, ein Riss, der sich nicht geschlossen hat und schmerzt.

Tja. Kurz danach ist er gestorben.

Pause. Das Kaminfeuer knistert.

Er denkt noch einige Augenblicke an seinen Vater.
Die Geschichte scheint zu Ende. Aber nein. Er nimmt sie noch einmal auf:

Vielleicht, wenn wenn... ...wenn er sich umgedreht hätte... wär´ich geblieben....

Eva antwortet sofort. Sie ist eine sehr kluge, herzenskluge Frau.

Sie sagt:

Vielleicht hat er das gewußt.

Er wußte, dass er Sie gehen lassen muss und hat sich deswegen nicht umgedreht.

Sie hat Recht.


1996/1997 Heino Ferch – Nick Leonhard, Eva – Aglaia Syszkowicz. Drehbuch: Barbara Jago - Trägerin Bayer. Fernsehpreis Kategorie Drehbuch 1999