Dienstag, Juni 29, 2010

Filmszenen I ... dann wirst Du Dir wünschen, zu leben...in: Des Teufels General. Curd Jürgens- General Harry Harras. Regie: Helmut Käutner, 1955

Bildquelle und Bildrechte: Arthaus Filmverleih und Divisa Home Video.





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Vor der Szene


Frau Kammersängerin Geiss ist mit dem General der Luftwaffe Harry Harras (Curd Jürgens) schon so lange befreundet, dass sie wie verschwägert, verwandt, verschwistert wirken.


Sie hat zu einer Nachpremierenfeier zu sich nach Hause geladen, das Haus ist voller Gäste.


In der Küche weiht sie Harry in ein lebensgefährliches Geheimnis ein: dass sie ein jüdisches Ehepaar, ihre alten Freunde Professor Rosenfeld und Frau, im Hause versteckt hält.


Harry willigt sofort ein, den beiden eine nächtliche Flucht per Kleinflugzeug über die Grenze in die sichere Schweiz, gleich in den nächsten Stunden, zu ermöglichen.


Aus der Flucht wurde nichts mehr. Am Morgen werden Passanten das Ehepaar Rosenfeld tot auf einer Parkbank finden. Selbstmord.


Der General steht selbst ganz vorne auf der Abschussliste der Gestapo. Er ahnt es zwar, will es aber nicht wahr haben. Seine Macht als Sternegeneral schützt ihn, so glaubt er.


Das Netz um ihn zieht sich immer dichter zu. Doch jetzt ist erst einmal die Nacht vorbei und der General kommt nach Hause.


Dort schläft auf einem Sofa Oberst Hartmann, der ja nach der aufgelösten Verlobung nicht mehr bei Mohrung bleiben konnte. Der General hatte den jungen Mann erst mal unter seine Fittiche genommen.


Die Szene


Bei General Harras zu Hause. Es ist früher Morgen.


Wir stehen in einem weitläufigen Wohnzimmer, altdeutsche Eiche, Bartresen mitten im Raum, Perserteppich, exotische Waffen, Elefantenfuss-Aschenbecher und ein Zebrafell an der Wand sagen uns, dass der Besitzer dieser exotischen Souvenirs wohl schon bis nach Afrika und weiter noch gekommen ist. General Harras kennt die Welt.


Die Tür geht auf, …wenn man vom Teufel spricht...


Der General kommt herein. Er streckt sich und gähnt. Dann steuert er straks auf den Bartresen zu, knipst das Licht einer Tischlampe an, die launig über und über mit Kofferaufklebern von Hotels von Sylt bis Samoa verziert ist und gießt sich noch einen Cognac ein. Er nimmt Diddos Liebesgabe, den Veilchenstrauss, aus dem Revers und wässert ihn hochprozentig im Glase.


Ein Stöhnen von der Couch lässt ihn neugierig näher zu uns herantreten. Wir stehen an Hartmanns Bett, der Chaiselonge neben der Bar. Hartmann hat nur das Jackett abgenommen. Hemd Hose und sogar Schlips und Manschettenknöpfe sind korrekt an ihrem Platz.


Der General schaltet das Radio direkt neben Hartmanns Kopf an.

Laute Marschmusik.
Harras geht zum Fenster und öffnet die gigantischen Vorhänge.

Auch dieser Bereich des Wohnsaales ist eine Mischung aus altdeutscher Gemütlichkeit und Karl May Kara Ben Nemsi Waffensammlung an der Wand. Die Deckenhöhe des Raumes ist mindestens Vier_Meter_fünfzig. Unser Blick geht aus hohem Stockwerk auf die Großtaten der Naziarchitektur.


Hartmann rappelt sich hoch. Er dreht sich erschreckt nach der Lärmquelle uns. Schaltet das Radio aus, steht auf.


Harras


Morgen Hartmann. Gut geschlafen?


Hartmann fährt hoch wie ein Rekrut beim Morgenappell, fährt sich über den Scheitel, nimmt beinahe vorschriftsmäßige Haltung an.


Harras aus dem off.


Ich mach uns Frühstück.


Der General steht in der Tür zu den anderen Zimmern, das Innenleben aufgeknöpft, sprich, Jacke offen.


…ahh…. Badezimmer is da.


Er deutet auf eine Tür im platzreichen Korridor und macht selbst ein paar Schritte Richtung Küche. Dann wendet er sich noch einmal zu uns zurück.


Wir hams nämlich eilich. Sie müss´n acht uhr dreissig marschbereit sein. Alle Urlaube sind aufgehoben.


Hartmann lauscht. Dann, ängstlich überrascht:


Zurück an die Front?


Hartmann greift sein Uniformjacket.


Harras leise


Ja. Undzwar nach Russland.


Tut mir leid.


Hartmann , er schlüpft in seine Jacke. Erleichtert:


Gott sei Dank.


Harras zögert einen Moment. Er scheint nicht recht einordnen zu können, was Hartmann gerade gesagt hat. Leise, lauernd.


Was war das?


Harras kommt näher. Bleibt dicht vor Hartmann stehen. Er baut sich mit erhobenem Kopf vor dem Oberst auf. Jetzt überragt er den jungen Mann um halbe Haupteslänge.


Was ham sie da eben gesagt?


Hartmann knöpft seinen Kragen zu.


Gott sei Dank, Herr General.


Harras, er hat die Hände breit in die Taille gestützt, Stachelfisch-Pose, weiter lauernd:


Was mein´Sie damit?


Hartmann, er rückt die Krawatte zurecht.


..ich meine, ich bin gerne draußen bei den Kameraden.


Harras von oben


Weg mit der Tarnung, Hartmann. Ich will wissen, was Sie sich mit diesem GottseiDank gedacht haben.


Hartmann zerrt sein Jacket in Position, knöpft mit tausend Mal geübten schnellen Bewegungen zu.


Harras


Na? Wird’s bald?


Hartmann, er hält die Augen gesenkt, sein Atem geht schneller. Trotzig, atemlos erregt:


Ich hab mir gedacht, wenn ich auch für´s Leben nicht tauglich bin… zum Sterben reicht´s bestimmt.


Sofort fährt die Hand des Generals nach vorne und gibt Hartmann eine schallende Ohrfeige. Hartmann reagiert mit einem erschrockenen Blick in des Generals Gesicht. Der sieht ihm wütend, zornig in die Augen.


Beide verharren. Harras Blick sprüht Funken nach dem jungen Mann. Hartmanns Atem zittert.


Harras geht langsam weg, wirft dem Geohrfeigten noch einen harten Blick zu. Der junge Oberst bleibt in Haltung stehen. Der General ist jetzt in seinem Rücken.


Er nimmt Hartmanns Ordensband vom Tisch und geht damit zu dem jungen Mann.



Hör mal zu, mein Junge.


Ich bin selbst ein alter Soldat. Ich versteh was von dem Geschäft und ich sage Dir -


Er beginnt, Hartmann den Orden am Band, es ist ein Ritterkreuz, mit wütenden Bewegungen anzulegen.


Jeder der was wert sein soll, da draussen - oder überall - der muss die Hoffnung haben, durchzukommen. Und den Willen. Sag mal freust Du Dich denn gar nicht, wieder zu Hause zu sein?


Er dreht Hartmann um und schließt mit harten Bewegungen das Ordensband im Nacken des Oberst.


Wenn dieser Scheiß-Krieg einmal vorbei ist...




Scheinbar reicht das, ihm den Mut zu geben, endlich zu antworten:


Ich hab nie ein richtiges Zu Hause gehabt, bis ich in die Hitlerjugend kam. Meine Heimat war das Schulungslager. Und dann… meine Staffel.


Harras streicht ihm von hinten über die Schultern, als wolle er ihn beruhigen. Er packt ihn und dreht ihn zu sich her.


Hör´n Se mir zu, Hartmann. Sie sind jung.


Wir sehen den General fast nicht, wir stehen hinter ihm. Aber wir sehen das junge und doch schon alte Gesicht des Oberst. Die Augen halb geschlossen, die Region um die Brauen schmerzerfüllt , die Züge wie lauschend, müde. Er hört zu, er scheint mit den Tränen zu kämpfen.


Aber Sie wissen´s nicht. Vor Ihnen liegt das Leben. Aber Sie wissen ja gar nicht, was det Leb´n ist.


Jetzt sehen wir in des Generals Gesicht. Er ist einen halben Kopf größer als Hartmann, er blickt seinen jungen Schützling aus nächster Nähe an, seine Augen strahlen, er wirkt, als zöge er mit seiner Energie den jungen Mann zu sich hoch.


Diese Welt ist wunderbar, glauben Sie mir.

Wir Menschen tun zwar sehr viel, um sie zu versauen, und wir haben auch gewissen Erfolg damit.


Drängend


Aber wir kommen nicht auf gegen das ursprüngliche Konzept.

Und das Konzept ist gut.


Ich weiss nicht, was sein Sinn ist , aber – in unseren besten Stunden – haben wir manchmal eine Ahnung davon.


Der General senkt den Blick, entlässt die Augen des jungen Oberst vom Leitstrahl seines Blicks, der Ausweichen unmöglich machte. Er nestelt noch einen Handgriff an der Uniform des Oberst, dann:


Komm wieder, Junge. Dann wirst Du nicht mehr an den Tod denken. Dann wirst Du Dir wünschen zu leben. Lange zu leben. Alt zu werden. So wie ich´s mir wünsche.


Es klingelt.


Schnitt.


Curd Jürgens (Im Alter von 40) – General der Luftwaffe Harry Harras, Harry Meyen – Oberst Hartmann.