Filmszenen I ...Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich ..in: Kasimir und Karoline. Teil 3 Schluss. Autor: Ödön von Horváth, 1929-32
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Vor der Szene
Der Merkl Franz ist auf dem Parkplatz in ein Auto eingebrochen. Kasimir hat sich inzwischen dem Franz seiner Erna angenähert. Speer und Schürzinger mussten dem Kommerzienrat Rauch bei der Karoline das Feld räumen. Rauch ist der Mächtigste, deswegen bekommt er das Fräulein. Die anderen beiden haben das Nachsehen. Rauch lädt Karoline zu einer Spazierfahrt nach Altötting mit seinem Automobil ein.
Die Szene
95. Szene
Karoline Das ist doch da ein Austro-Daimler?
Rauch Erraten! Bravo!
Karoline Mein ehemaliger Bräutigam hat auch einen Austro-Daimler gefahren. Er war nämlich ein Chauffeur. Ein komischer Mensch. Zum Beispiel vor drei Monaten da wollten wir zwei eine Spritztour machen hinaus in das Grüne – und da hat er einen Riesenkrach mit einem Kutscher bekommen, weil der seinen Gaul geprügelt hat. Denkens, wegen einem Gaul! Und dabei ist er selbst doch ein Chauffeur. Man muß das schon zu würdigen wissen.
Rauch hatte endlich seinen Schlüssel gefunden und öffnet nun die Wagentüre: Darf man bitten, Gnädigste –
96. Szene
Kasimir kommt mit Erna wieder vorbei; er erblickt Karoline – sie erkennen und fixieren sich.
97. Szene
Karoline läßt Rauch stehen und hält dicht vor Kasimir: Lebe wohl, Kasimir.
Kasimir Lebe wohl.
Karoline Ja. Und viel Glück.
Kasimir Prost.
Stille.
Karoline Ich fahre jetzt nach Altötting.
Kasimir Mahlzeit.
Stille.
Das ist ein schönes Kabriolet dort. Akkurat so ein ähnliches bin ich auch einmal gefahren. Noch vorgestern.
Rauch Darf man bitten, Gnädigste! Karoline läßt Kasimir langsam stehen und steigt mit Rauch ein – und bald ist kein Kabriolet mehr zu sehen.
98. Szene
Kasimir sieht dem verschwundenen Kabriolet nach; er imitiert Rauch: Darf man bitten, Gnädigste – Dunkel.
(…)
109. Szene
Neuer Schauplatz: Wieder auf dem Parkplatz, aber an einer anderen Stelle, dort wo die Fahnen der Ausstellung schon sichtbar werden.
Kasimir und Erna gehen noch immer auf und ab – plötzlich hält Kasimir. Und Erna auch.
110. Szene
Kasimir Wo steckt denn Der Merkl?
Erna Der wird schon irgendwo stecken.
Kasimir Und wo das Fräulein Karoline jetzt steckt, das ist mir wurscht.
Erna Nein das wäre keine Frau für Sie. Ich habe mir dafür einen Blick erworben.
Kasimir So ein Weib ist ein Auto, bei dem nichts richtig funktioniert – immer gehört es repariert. Das Benzin ist das Blut und der Magnet das Herz – und wenn der Funke zu schwach ist, entsteht eine Fehlzündung – und wenn zuviel Öl drin ist, dann raucht er und stinkt er –
Erna Was Sie für eine Phantasie haben. Das haben nämlich nur wenige Männer. Zum Beispiel Der Merkl hat keine. Überhaupt haben Sie schon sehr recht, wenn Sie das sagen, daß Der Merkl mich ungerecht behandelt – Nein! Das laß ich mir auch nicht weiter bieten
– Sie schreit plötzlich unterdrückt auf. Jesus Maria Josef! Merkl! Franz! Jesus Maria – Sie hält sich selbst den Mund zu und wimmert.
Kasimir Was ist denn los?
Erna Dort – sie haben ihn. Franz! Sehens die beiden Kriminaler – Verzeih mir das, Franz! – Nein, ich schimpfe nicht, ich schimpfe nicht –
Stille.
Kasimir An allem ist nur dieses Luder schuld. Diese Schnallen. Dieses Fräulein Karoline!
Erna Er wehrt sich garnicht – geht einfach mit – Sie setzt sich auf die Bank. Den seh ich nimmer.
Kasimir Geh den werdens doch nicht gleich hinrichten!
Erna Das kommt auf dasselbe hinaus. Weil er doch schon oft vorbestraft ist – da hauns ihm jetzt fünf Jahr Zuchthaus hinauf wie nichts – und dann kommt er nicht mehr heraus, weil er sich ja während seiner Vorstrafen schon längst eine Tuberkulose geholt hat – Der kommt nicht mehr heraus!
Stille.
Kasimir Sind Sie auch vorbestraft?
Erna Ja.
Kasimir setzt sich neben Erna.
Stille.
Was glauben Sie, wie alt daß ich bin?
Kasimir Fünfundzwanzig.
Erna Zwanzig.
Kasimir Wir sind halt heutzutag alle älter als wie wir sind.
(…)
114. Szene
Karoline vor sich hin:
Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als war man nie dabei gewesen –
(…)
117. Szene – Schluß:
Erna singt leise – und auch Kasimir singt allmählich mit:
Und blühen einmal die Rosen
Wird das Herz nicht mehr trüb
Denn die Rosenzeit ist ja
Die Zeit für die Lieb
Jedes Jahr kommt der Frühling
Ist der Winter vorbei
Nur der Mensch hat alleinig
Einen einzigen Mai.
Zit. n.
Ödön von Horváth: Edmund Joseph von Horváth
Edmund Josef von Horváth wurde am 9. Dezember 1901 in Fiume (Rijeka) geboren; er starb am 1. Juni 1938 in Paris.
Der Vater stammt aus Slavonien, die Mutter kommt aus einer ungarisch-deutschen k.u.k. Militärarztfamilie. 1902 zieht die Familie nach Belgrad um, 1908 nach Budapest, wo Ödön von einem Hauslehrer in ungarischer Sprache unterrichtet wird. Als sein Vater 1909 nach München versetzt wird, bleibt Ödön in Budapest und besucht dort das erzbischöfliche Internat. 1913 zieht er zu seinen Eltern und lernt erstmals die deutsche Sprache. Er siedelt dann mit der Familie nach Pressburg, später nach Budapest um und kommt schließlich nach Wien in die Obhut seines Onkels. Dort macht er 1919 an einem Privatgymnasium Abitur und schreibt sich noch im selben Jahr an der Universität München ein, wo er bis zum Wintersemester 1921/22 psychologische, literatur-, theater- und kunstwissenschaftliche Seminare besucht.
Horváth beginnt 1920 zu schreiben. Ab 1923 lebt er vor allem in Berlin, Salzburg und bei seinen Eltern im oberbayrischen Murnau.
Im März 1938 fährt Horvath nach Budapest und Fiume, bereist einige andere Städte und kommt Ende Mai nach Paris, wo er am 1. Juni an den Folgen eines Unfalls [– ein herabfallender Ast eines Chausseebaums erschlägt ihn -] stirbt.
Quelle: das Gutenberg-Projekt auf Spiegel-online.de
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