Freitag, Dezember 12, 2008

Filmszenen I ...uns soll den Weg jedoch... Teil 2A in: In weiter Ferne, so nah! (Far away, so close!) Regie: Wim Wenders, 1992-93

Bildquelle und Bildrechte ARTHOUSE

Bildquelle und Bildrechte bei reverse angle Produktionsgesellschaft und ARTHOUSE Filmverleih
Zum Vergrößern in Firefox: mit der rechten Maustaste auf das Bild zeigen, aus dem Fly Out Menue Punkt: Grafik anzeigen auswählen. Dann ist der Text, Autograph von Wim Wenders, lesbar.

...uns soll den Weg jedoch die Liebe weisen... Teil 2A in: In weiter Ferne, so nah! (Far away, so close!) Regie: Wim Wenders, 1992-93

Hören statt Lesen Audio.mp3->

Alles Schwarzweiss. Die Engel nehmen die Welt ohne Farben wahr….


Wir sehen den Besitzer der Stimme. Er singt aus vollem Hals und offensichtlich bester Laune. Er scheint nicht sehr wohlhabend, denn er fährt seine Pizzen nicht einmal per Auto aus. Er hat ein Rikscha -Dreirad ohne Motor, weißes, sehr gebrauchtes T-Shirt mit Pizza-Aufschrift, karierte Kapuzenjacke. Es ist, wir sagen es vorab, der ehemalige Engel Damiel (Bruno Ganz im Alter von 51).


Die Kamera fährt zurück. Amerikanische.


Huch! Unser Mann im dunklen Mantel, - es ist der echte Schutzengel Cassiel (Otto Sander im Alter von 51, wirkt wie Mitte 40 ). Er sitzt im Transportkorb vor dem Lenker und lauscht amüsiert Damiels frohnatürlichem Gesinge.


…aahhh baram badiggi ribadaaaaah…


Ein bisschen eigenartig kommt die Singerei ihm schon vor, aber schnell lässt er sich mitreissen und luftdirigiert die Takte sogar mit. Damiel biegt rechts ab, der Schutzengel zeigt vorschriftsmäßig mit ausgestrecktem Arm den Richtungswechsel an, obwohl er doch für die Menschen unsichtbar ist.


..giun garazza ticka gazza bu bu , abbadaba buuu abadaba buuuh….


(lustig. Der Sänger, Bruno Ganz, ist italian native speaker (mal hörn? our recommendation. Pane e tulipani), der hier jemand spielt, der nicht italienisch kann.)


Überblendung.


Eine Suite, könnte in einem Sechssterne-Hotel oder einem modernisierten Palast sein. Louis Quinze Schreibtisch, glatt, makellos, zwei Stühle, ebenfalls Louis Quinze einer in der Raumecke, der andere am Bureau.


Wir nähern uns von schräg hinten einem Mann am Tisch im dunklen Anzug. Wir hören seine Gedanken. Er spricht russisch, wir lesen die Übersetzung in Subtitles.


Ja, das ist die ewige Frage,


Der Sinn des Lebens.


Wozu kommt der Mensch auf die Welt?


Wir umfahren den Mann. Schon jetzt ahnen wir, wer es ist. Ein Staatenlenker, einer der mächtigsten Männer der Welt:


Michail Gorbatschow.


Er blättert in Unterlagen, ein Füllhalter liegt bereit.


Er verweilt nur kurze Zeit im Vergleich zur Ewigkeit.


Ist es besser oder schlechter, dass der Mensch sein Schicksal nicht kennt.


Gorbatschow macht eine Geste des Nachdenkens.


Dann greift er zu einem Blatt, das neben ihm auf einem Aktenstapel liegt.


Ich glaube, es ist besser, weil er dann sein Leben lang sucht.


Cassiel tritt hinter Gorbatschow an den Schreibtisch.


…und den Sinn seines Daseins hinterfragt.


Jetzt stehen wir direkt vor Gorbatschow und Cassiel. Gorbatschow liest. Cassiel beugt sich neugierig über Gorbatschow´s Schulter und liest mit.


Michail Gorbatschow:


Vor mir liegen Verse, die mich tief beeindrucken. Sie sind von meinem Landsmann Fjodor Tjuttschew


Der Engel Cassiel legt dem Staatsmann freundlich die Hand auf die Schulter, liest weiter die Gedanken des Politikers, der mit Perestroika und Glasnost, Veränderung und Offenheit, die größte staatspolitische Veränderung des zwanzigsten Jahrhunderts im Machtgefüge der Welt herbeigeführt hat, mit. Zwei Freunde.


..dem Dichter und Diplomaten


Die Einheit,“ so orakelt die Welt,


hören wir Michail Gorbatschow´s Gedanken,


Blick aus dem Fenster. Draussen der Gendarmenmarkt und der Funkturm Berlin. Plötzlich wird alles aus schwarzweiss farbig.


„Sei fest zu schmieden nur durch Blut und Eisen“


Schnitt auf den Staatsmann, er scheint beim Blick aus dem Fenster weiter nachzudenken, dann wendet er sich wieder dem Schriftstück zu.


Wir sehen wieder Cassiel und Michail Gorbatschow vor uns, wieder schwarzweiss, Cassiels Hand liegt noch immer bestärkend und freundschaftlich auf der Schulter der Staatsmannes, auf dessen Schultern das Gewicht der Entscheidung um Krieg und Frieden ruht.


„Uns soll den Weg jedoch die Liebe weisen“


Cassiel tritt zurück, seine Hand löst sich von der Schulter Michail Gorbatschows.


Man wird ja sehen, was länger hält.


Michail Gorbatschow greift zur Füllfeder, um das Gedachte niederzulegen. Er beginnt zu schreiben.


Ich bin überzeugt,


schreibt er,


auf Blut lässt sich keine sichere Welt aufbauen...


Schnitt.


Wir fliegen hoch über die dicht bebaute Innenstadt von Berlin, über den Wolken, die uns die Sicht auf Teile der Stadt verschleiern.


Michail Gorbatschow:


...Auf Eintracht aber schon.


Wir müssen uns darüber einig sein,


Politiker, Philosophen, Schauspieler,


Arbeiter, Bauern, Angehörige aller Religionen.


Wir haben den Blick auf die Stadt verlassen, fliegen höher, höher, sehen die Wolkendecke über uns.


Michail Gorbatschow:


Wenn uns das gelingt, lässt sich alles andere lösen.


Wir fliegen zurück, dicht über dem Erdboden.


Die Kamera blickt umher. Straßen, Mietskasernen, der übliche Pendlerstau…


Eine hohe Singstimme, sie scheint zu schweben, wie unser Blick.


Wir hören eine zarte sehr junge Frauenstimme. Sie beginnt:


Ein Jegliches hat seine Zeit und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde…(Prediger 3.1 - 3.15)


Hören statt Lesen Audio.mp3->


1992-93 Otto Sander (im Alter von 51) - Schutzengel Cassiel, Bruno Ganz (im Alter von 51) - ehemaliger Schutzenger Damiel, heute Pizzaiolo, Michail Gorbatschow - himself, Nastassja Kinski - Schutzengel Raphaela.

Labels: ,