Bildquelle und Bildrechte: movienet-Film, Tellux Film und Eurovideo FilmverleihVor der Szene
Berhard Stemmer möchte unbedingt versuchen, seinen Zorn, seinen inneren Druck abzubauen.
Er will, ganz im christlichen Sinne, seinem Schuldner verzeihen.
Beni soll hören: „ich hab´ Dir verziehen“. Deshalb lädt Bernhard ihn an einem Abend zu sich nach Hause ein.
Die Begegnung verläuft verkrampft, Beni kann den Satz nicht annehmen, und dann läutet auch noch plötzlich Gabi an der Tür.
Schnell wird Beni versteckt, im Nebenzimmer. Gabi soll nicht sehen, dass der Mörder ihres Kindes im Privatbereich des geschiedenen Paares ist.
Gabi geht auf der Suche nach ihren Rollerblades in Lena´s Kinderzimmer. Ausgerechnet hier steht Beni. Gabi erleidet einen Schock. Und läuft fort.
Wochen später versucht das Ex-Ehepaar, beide Lehrer, beide täglich in denselben Räumen unterwegs, einen Annäherungsversuch.
Du derfst mia ned imma so weh doa.
Du darfst mir nicht immer so weh tun.
sagt Gabi.
Beide umarmen sich, halten sich aneinander fest. Zwei Menschen, derselbe Verlust, derselbe Schmerz. Sich aneinander festhalten tröstet. Kurzfristig.
Man verabredet sich ins Kino, der Film ist lustig, eine Komödie, endlich lacht man mal wieder, die zwei verlassen das Kino hoch gestimmt. Wir fühlen: Bernhard erhofft sich eine Rückkehr seiner Frau in´s gemeinsame Haus.
Die Szene
Vor dem Neues Rex in der Agricolastrasse in München. Sommerabend. Der Film ist aus. Die großen Glastüren des Hauptausgangs sind geöffnet und spucken Kinogänger aus. Nach links, nach rechts, nach vorn.
Vorne bei uns laufen Gabi und Bernhard. Beide lächeln noch, der Schluß der Komödie war witzig.
Gabi ist, wie immer, gut angezogen, ein gelbes Ensemble, türkisblaue Halskette, sorgfältig geschminkt, großes Make Up mit glutroten Lippen; leichte Sommersandalen klackern mit diesem typisch emsigen Geräusch über das Kopfsteinpflaster, das sagt: Meine Besitzerin ist gertenschlank und federleicht.
Bernhard muss sich einen Ruck gegeben haben, denn er hat sein graubraungrünes Schlammfarben-Jacket tatsächlich mit einem frisch gewaschenen hellgelben Poloshirt konfrontiert. Passt nicht, aber der gute Wille zählt als Tat.
Small Talk. Eine Bemerkung.
Beide laufen jetzt schweigend neben einander her. Gabi wird langsamer, bleibt stehen. Wir gehen mit Bernhard noch ein kleines Stück weiter. Bernhard ahnt noch nichts. Unser Blick geht zurück, an Bernhard vorbei: Wir lesen in Gabi´s Gesicht, dass sie etwas auf dem Herzen hat.
Bernhard bleibt auch stehen, dreht sich jetzt nach Gabi um. Wo bleibt sie denn.
Gabi ist steif. Als sie
Bernhard!
sagt, so hart, mit ansteigender Stimme, klingt das gar nicht gut. Ärger ist in der Luft.
Sie macht zwei Schritte auf ihn zu, jedes Mal nervöser Lidschlag. Sie steht ganz dicht vor ihm, als sie sagt:
Ich bin schwanger.
Schnitt. Close up Bernhard. Wir sehen, er kann nicht glauben, was er hört. Sein Blick wandert zwischen ihren Pupillen hin und her, er muss feststellen, ob sie wirklich die Wahrheit sagt.
Ja. Keine Taktik. Bernhard atmet ein, dann die Frage:
Vo wem?
Von wem?
Gabi geht nicht weiter darauf ein, - von Feller natürlich.
Des isso passiat, i woids dia söiba sagn, so früh wia möglich.
Das ist so passiert, ich wollte es Dir selbst sagen – so früh wie möglich.
Bernhard kann gar nichts mehr erwidern. Er ist schockiert. Dreht sich ruckartig weg und will zu rennen anfangen. Gabi hält seinen Arm fest, weinerlich.
Bernhard, bitte…..
Bernhard schleudert die Hand seiner Ex-Frau ab.
Schnitt.
Wir stehen am Straßenrand, auf der Beifahrerseite von Bernhards Wagen. Der blaue Lack des alten Ford ist voller Wassertropfen, das Kopfsteinpflaster der Straße dahinter glänzt nass. Es hatte geregnet, als die beiden im Kinosaal waren.
Wir sehen Bernhard auf uns zukommen.
Schnitt. Gabi very close up.
Ihr Blick immer noch zum Weinen bereit, ängstlich, jetzt auch ehrlich besorgt um Bernhard´s Gesundheit. Er hat sich in Zorn und Schock an das Steuer gesetzt, eigentlich ist er nicht fahrtüchtig.
Wir hören, der Wagen wird gestartet.
Schnitt.
Wir wieder auf der Beifahrerseite auf dem Trottoir, sehen gerade noch, wie der Wagen anfährt, die Reifen quietschen, dann stehen Gabi und wir allein auf dem Platz vor dem Neuen Rex.
Sie ruft ihm noch nach:
I hob doch a Angst davoa.
Ich habe doch auch Angst davor.
Du deafst mia ned imma so weh doa. Du darfst mir nicht immer so weh tun, hatte sie gerade noch gesagt.
Jetzt hat sie ihm weh getan: ein Kind. Ein neues Kind dreht das Rad der Zeit weiter. Ein neues Kind setzt Weichen, ein neues Kind bestimmt eine neue Zukunft. Mit Feller. Nicht mit ihm, mit Bernhard.
Schnitt.
Dunkelheit. Wir ahnen eine Landstraße, die Stämme einer alten Allee, als die Scheinwerfer von Bernhards Wagen zwei Lichtflecken zeichnen, die durchs Bild wandern. Die Flecke bewegen sich, weiter, weiter, jetzt kommt eine Kurve, - auf uns zu, - der Asphalt glänzt nass.
Bernhard nah, am Steuer.
Er weint. Jetzt weint er. Jetzt endlich.
Er fährt, er steuert ein Automobil, er fährt eine Landstrasse entlang, er schließt im Schmerz die Augen. Lang. Er hält seine Augen lange geschlossen.
Viel zu lang, um den Straßenverlauf noch verfolgen zu können. Wir fühlen, er will es jetzt darauf ankommen lassen. Wenn er jetzt – wenn er jetzt einen Baum trifft… das wird ein Unfall sein, das ist dann nicht mal Selbstmord.
Er weint, die Augen geschlossen.
Er wiederholt genau dasselbe Verhalten, das sein Kind getötet hat: führen eines Autos auf öffentlichen Straßen im Zustand der Fahruntüchtigkeit.
Schuld, Schmerz, neue Schuld, neuer Schmerz….ein nächtlicher Fussgänger, ein Jogger, ein Fahrradfahrer. Keine Chance. Bernhard läßt es darauf ankommen.
Mit geschlossenen Augen Auto fahren. Tränen-Schleier – vielleicht ahnt er noch den Verlauf der Straße – einen Menschen würde er nicht sehen. Zumindest nicht rechtzeitig.
Wie eigenartig. Opfer werden zu potentiellen Tätern und Täter zu potentiellen Opfern.
Schmerz und Schuld, eng verbunden, wie zwei Waagschalen, Waagschalen der Gerechtigkeit.
Justizia ist blind.
2008-09 Marisa Burger – Gabi Stemmer, Michael Fitz – Bernhard Stemmer.
<< Home