Donnerstag, Januar 06, 2011

Filmszenen I ...nein, ich will mit.. in: Jedermann. Teil 2. Jedermann - Ulrich Tukur. Buch: Hugo von Hoffmannsthal. Regie:Gernot Friedel 2000 Salzburg








Bildquelle und Bildrechte Arthouse 2009

Hören statt Lesen: Audio.mp3-> zum Sofort Hören

Vor der Szene.

Jedermann hoffte auf Begleitung bei seinem letzten Gang, den Gang vor das Jüngste Gericht.

Vor Gott muss er Rechnung legen, Rede und Antwort stehen. Wie hat er gelebt? Egoistisch oder sozial gerecht?

Eine Person soll mit ihm gehen und für ihn sprechen. – Doch leider, keiner will mit in „ jenes unentdeckte Land, von des Bezirk Kein Wandrer wiederkehrt“ (Hamlet III,1). Sein Spezl, der Gesell nicht, seine Verwandten, der dicke und der dünne Vetter nicht und auch sein Geld, der Mammon, will nicht mit. Geld und Gold, so sagt der Mammon, regieren hier auf Erden. Im Himmel hat er nichts zu suchen.

Jetzt ist Jedermann ganz allein.

Allein soll er seinen letzten Gang gehen, mit leeren Händen und unvorbereitet.

Allein steht er auf der Bühne vor dem Dreifachportal des Gotteshauses in Salzburg. Da hört er eine leise Stimme:

Die Szene

Kaum sichtbar, in ein dunkelrotes Leichentuch gehüllt, liegt am Bühnenrand eine Gestalt. Sie ruft schwach.

Die Guten Werke
Jedermann!

Jedermann hört nicht

Die Guten Werke
Jedermann, hörst mich nit?

Jedermann sieht sich um. Er ist völlig erschöpft.

Jedermann
Ist als wenn eins gerufen hätt,
Die Stimme war schwach und doch recht klar.

Jedermann krümmt sich zusammen, Schmerz, Erschöpfung, Angst, er ist kurz vor den Tränen.

Wieder die Stimme, wir sehen die Gestalt jetzt nah. Es scheint eine Frau zu sein. Auch ihr Kopf ist vom Tuch umhüllt. Sie bewegt sich schwach.

Die Guten Werke
Jedermann!
Hörst mich nit, Jedermann?

Jedermann kommt näher, bis er zu erkennen glaubt, wer oder was hier liegt.

Jedermann
Ist ein krank Weib,
Was kümmerts mich, soll sehn wo sie bleib.

Die Guten Werke
Mein Jedermann, ich gehör zu dir,
Um deinetwillen lieg ich hier.

Jedermann geht wieder weiter weg. Setzt sich.


Wie soll denn das bewendet sein?

Die Guten Werke
Ich trag Deiner Sünden tiefe Wunde,
bin all die Werke dein.

Jedermann
Ich will kein Spott, ich sterb allweg.

Die Guten Werke
Komm doch zu mir den kleinen Weg.

Jedermann
Meine Werke will ich jetzt nit sehn.

Er blickt weg, er scheint etwas zu hören, schrickt auf.

Die Guten Werke
Wär ichs imstande - ich lief zu dir.

Jedermann
Liegt Angst und Marter g´nug auf mir.

Die Guten Werke
Mich brauchst, der Weg ist schreckbar weit,
Bist annoch ohne ein Geleit.

Jedermann lauscht wieder nach etwas, das er hört. Eine Glocke schlägt die Stunden.


Des Weges muß ich jetzt allein -

Die Guten Werke
Nein, ich will mit, denn ich bin dein.

Jedermann sieht endlich zu der Gestalt hin.

Die Guten Werke


Du bist entboten zu deinem Erlöser,
Vor ein höchst Gericht zu kommen!
Willst du nit gehn verloren, Mann,
Tritt nit allein die Wandrung an.

Jedermann lauscht der Gestalt, steht auf, kommt näher.

Jetzt scheint er etwas anderes in der Frau zu sehen.

Jedermann
du – du - Willst mit mir?

Jedermann, immer noch körperlich völlig erschöpft, läßt sich auf ein Knie nieder, stützt sich dabei auf der Treppe ab.

Die Guten Werke
Fragst du mich das, mein Jedermann?

Die Gestalt streckt ihm einen verhüllten Arm hin. Jedermann nimmt die Hand zärtlich wie die Hand einer Geliebten. Er traut sich, das Velum vom Gesicht der Frau zu ziehen. Ein schönes Antlitz, schneeweiss, wird sichtbar, umrahmt von schwarzem Haar. Eine Frau, die ihr Leben gelebt hat, aber noch nicht alt ist.

Sie sieht ihn an.

Jedermann wagt es nicht, sie über die Wange zu streicheln. Er nimmt ihre Hand und drückt sie an sein Gesicht.

Jedermann

Wie du mich sehnlich siehest an
Ist mir, als

Er kann kaum weiter sprechen, er kämpft mit den Tränen.

hätt in meinem Leben
Nit Freund, noch Liebste, nit Weib noch Mann
Mir keinen solchen Blick gegeben!

Jedermann begegnet in diesem Blick seiner tiefsten Sehnsucht. Um seiner selbst geliebt zu werden.

Die Guten Werke
O Jedermann, daß du so später Stund
Dich kehrest zu meinem Aug' und Mund!

Jedermann
Hast ein Gesicht verhärmt und bleich
Und dünkt mich doch an Schönheit reich.

Jedermann nimmt die Frau in den Arm, drückt sie an sich. Die Frau läßt alles geschehen, sie ist schwach.


Mir ist, könnt deiner Augen Schein
Durch meine Augen dringen ein,

Jedermann wiegt sich und die Frau hin und her, wie es Menschen tun, die jemanden verloren haben, den sie lieben. Die Frau wirkt wie tot.

Ein großes Heil und Segen dann
Geschäh an einem armen Mann.

Sie bewegt sich nicht. Jedermann läßt die scheinbar Tote zu Boden zurückgleiten. Er denkt, sie kann nicht mitkommen, weil sie nicht mehr lebt. Er wendet sich ab.



Doch weiß ich, dies ist nun versäumt
Und alls nur wie geträumt!

Doch die Gestalt spricht plötzlich doch wieder, klar und laut.

Die Guten Werke
Hättest erkannt in deinem Leben,
Daß ich nit völlig häßlich bin,
Wärest bei mir verblieben
Aufgegangen wäre dein Herz
Ich wäre Dir worden ein göttliches Gefäß,

Jedermann beugt sich über die Liegende, drückt sein Gesicht gegen ihr Herz.


Ein Kelch der überströmenden Gnaden

Jedermann nimmt die Frau hoch, trägt sie auf den Armen, steht auf.


Und dich wollt ich erkennen nicht!
War so verblendet mein Gesicht!

Er schwankt, versucht zu gehen. Das lange dunkle Gewand der Last auf seinen Armen schleift über den Boden wie ein Schatten.


was sind wir für Wesen dann
Wenn solches uns geschehen kann!

Die Guten Werke
Ich war ein Kelch, der vor dir stand…

Jedermann. Salzburger Festspiele 2000. Ulrich Tukur – Jedermann, Maria Bill – Die Guten Werke.

- -


Kommentar:

s.a. Der Tunnel. Szene: Entweder wir beide - oder keiner!

s.a. Straight Shooter - Szene im Krankenhausflur