Mittwoch, April 11, 2007

Filmszenen I "Hans!-...gibt´s den nich´mehr oder was?"


-Berlin ´61. Teil 3. 2005-06

Teaser zum Film: Die Mauer-Berlin ´61

Bildquelle und alle Bildrechte bei teamWorx Filmproduktionsgesellschaft und WDR (Westdeutscher Rundfunk) / Bernd Spauke

Hören statt Lesen - Kino für die Ohren Audio.mp3 (Sprecher: ignazwrobel)

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Vor der Szene.

Das Ehepaar, Hans und Katharina Kuhlke, hofft, dass der Möbelhausbesitzer Erwin Sawatzke ihnen Geld für einen Anwalt vorstreckt.

Der Anwalt soll versuchen, Paul, den Sohn, zu seinen Eltern in den Westen herauszuschleusen.

Erwin gibt Katharina hinter Hans Rücken wortlos zu verstehen, dass er das Anwaltshonorar gegen Bezahlung in Form von sexueller Dienstleistung vorstrecken wird. Katharina geht darauf ein.

Nach erfolgtem Beratungsgespräch mit dem Anwalt sagt sie Hans, was geschehen ist. Hans regelt die Sache mit der Faust. Das Vertrauen zu seiner Frau jedoch hat verheerenden Schaden genommen. Und: der Anwalt musste seine Hoffnung zerstören, Paul mit rechtstaatlichen Mitteln wiederzubekommen.

Das Ehepaar nimmt Quartier im Übergangslager Marienfelde.

Die Verhältnisse dort ähneln den Zuständen in einer völlig überfüllten Jugendherberge während der Hochsaison. Das letzte Eckchen Privatheit muss dort aufgegeben werden. Hans verliert zusehends an Kraft, nach aussen zu agieren. Er zieht sich völlig in sich selbst zurück.

Der Verlust seines Sohnes, der Verlust der Frau, ihrer unbedingt zuverlässigen Solidarität, schiebt ihn in eine persönliche Einsamkeit, die jeden Handlungsimpuls erstickt.

Die Szene.

Wir sehen Hans und Katharina in einem mit Metallstockbetten vollgestopften Saal. Es ist Abend. Hans liegt auf dem unteren Bett. Katharina deckt ihn zu und geht hinaus.

Draussen hört sie, dass der amerikanische Vizepräsident Lyndon B. Johnson Marienfelde besuchen wird.

Anderntags malen die Frauen Transparente für den Besuch. Auf den Bannern formulieren sie ihre Bitten an den Vizekanzler. Hans hilft nicht mit.

Er liegt nur passiv auf seinem Bett. Katharina kann ihn nicht dazu bewegen, mitzumachen.

Turnsaal.

Wir blicken Katharina über die Schulter und sehen ihr zu. Sie schreibt:

Ich will mein Kind zurück.

Plötzlich ist sie wütend. Sie springt auf und geht in den Schlafsaal.

Hans liegt angekleidet auf der unteren Liege des Stockbettes, die Hände in den Hosentaschen vergraben und starrt bewegungslos geradeaus auf den Unterboden der Liege über ihm.

Katharina:

Jez´ hör´ mal zu Hans!

Du hast aufgegeben!

Ich hab nich´ aufgegeben und ich werd´ auch nich´ aufgeben.

Keine Reaktion.

Überhaupt keine Reaktion.

Hans schaut Katharina nicht an, er starrt weiter auf einen Fleck der Liege über ihm.

Katharina:

Dein.. dein Trauergesicht. Ich kann das nicht mehr sehen!! Jetz´komm`, - steh´auf.

Sie greift seinen Ellenbogen. Hans dreht sich sofort von ihr weg, legt sich auf die Seite, verschränkt die Arme.

Katharina: Hans wir müssen irgendwas tun!

Hans leise, monoton: Was solln wir denn tun verrat mir das mal.


Katharina rüttelt Hans am Arm.
Hans will keinen Kontakt aufnehmen, seine Aufmerksamkeit klebt weiter im Nichts.

Katharina versucht Hans zum Aufstehen zu bewegen

Bildquelle und alle Bildrechte bei teamWorx Filmproduktionsgesellschaft und WDR (Westdeutscher Rundfunk) / Bernd Spauke

Als sie ihn zu sich hindreht, hat er keinen Blick mehr.. Seine Augen – zwei schwarze Löcher ohne Licht..

Katharina sehr wütend:

Ich hab´ Dich geheiratet, weil ich Dich bewundert habe.

Weil ich gedacht hab´ dass wir zusammen das Leben hinkriegen.
Besser hinkriegen.

Sie rüttelt ihn immer wieder am Arm.

Hans senkt die Lider, blendet die Aussenwelt aus, hält seine Hände fest geschlossen, dicht und starr an seinem Leib und lässt den Impuls von Katharina nicht zu sich durchdringen.

Er scheint mit einer zähen Nein-Bewegung aus dem Nacken ein lass mich anzudeuten.


Hans Kuhlke auf der Liege im Auffanglager

Bildquelle und alle Bildrechte bei teamWorx Filmproduktionsgesellschaft und WDR (Westdeutscher Rundfunk) / Bernd Spauke

Er dreht sich wieder in Seitenlage, von Katharina weg.
Jetzt hängt
er seinen Blick an ein Fleckchen an der Wand, lässt nicht los.
Er hört nichts. Katharinas Worte schwallen über ihn hinweg.

Katharina:

Ich erstick hier fast an diesem Schwachsinn. An ´nem Kerl, der im Bett rumliegt..

Steh jetzt auf, Hans, jetzt steh auf!!

Keine Reaktion.

Hans steh auf jetz´, komm...

Katharina packt ihren Mann am Arm und zerrt ihn von der Liege.

Raus jez´hier, los mach...!

Sie zerrt und zerrt, kurz bevor er fällt, fängt er sich und geht in die Vertikale.

Hör auf! Hören wir ihn herausdrücken.

Inzwischen schaut der ganze Saal. Alle starren die beiden an.

Endlich steht er.

(...)

Sie schubst ihn.

Mensch Hans! Wo issn´ der Hans, den ich kenne, gibt´s den nich´ mehr oder was.

Jedes Mal, wenn Katharina ihn stößt, reagiert er zäh. Er wirkt, wie jemand, der ganz und gar in Ruhe gelassen werden will, aber nicht ausweichen kann.

So, als wolle er den Stoß abschütteln wie etwas Lästiges. Und gleichzeitig so, als wäre er gewohnt, geschlagen zu werden, ohne Erlaubnis auf eine Abwehrbewegung. Er lässt sich stoßen, ohne Gegendruck, und sucht erst dann, verzögert, wieder sein Gleichgewicht.

Close up Hans.

Er starrt wieder vor sich hin, auf ein Fleckchen auf der Liege.

Sein Gesicht, die erstarrte Trauer auf den Wangen, im Blick, der fest verschlossene Mund. Vergeblich suchen wir dieses Gesicht nach einer, irgendeiner kleinen Stelle ab, die uns versichern könnte, dass da Wille, Hoffnung, Denken, Nachdenken ist.

Da ist nichts mehr.

Keine Person.

Kein Ich.

Nur noch eine Hülle um ein Garnichts herum. Hans gibt es nicht mehr.
Die Person Hans ist zusammengeschnurrt, zusammengezogen, geschmolzen und hat sich an einen von aussen unerreichbaren Ort zurückgezogen.

Katharina bemerkt das mit großem Schrecken.

Sie versteht nicht, was passiert, aber das Verschwinden eines greifbaren Ich jagt ihr Angst ein, Panik, sie versucht, ihn wieder herbeizuzerren von dort, wohin er zu verschwinden im Begriff ist..

Sie weint und schlägt ihn.

Das kann doch nich sein!!

Wut und Verzweiflung.

Wegen Dir kann ich nich mehr zurück zu meim Kind!

Jetzt schlägt sie ihren Mann dafür, dass er Schuld ist an diesem Alptraum hier.

Sie braucht ja auch eine Erklärung für das alles, für ihre Verzweiflung.
Trotzdem: Fehler.

Kardinalfehler.

Er nimmt die Schläge hin..

Sein Gesicht zeigt etwas, was eigentlich niemals irgend ein Gesicht eines Menschen zeigen dürfte, solange das Wort Menschlichkeit noch Bedeutung hat.

Zwischen den Augen auf der Stirn erscheinen jetzt die Zeichen eines Schmerzes, der.. nun... der...ein übervolles Mass an alter Erfahrung unmenschlichen Mißhandeltwerdens mit der akuten Erleben mischt und................

Den Mann abstürzen lässt.

Er fällt.

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2005-2006 Heino Ferch – Hans Kuhlke, Inka Friedrich – Katharina Kuhlke.

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Unsere mageren Worte geben nur einen vagen, skizzenhaften Eindruck der hervorragenden Darstellungsleistung in dieser Szene. Am besten sehen Sie sich die Szene selbst noch einmal an. -
Wie das unbewußt zunehmende,
sprachunfähige Leid das Bewußtsein des Mannes mehr und mehr einschränkt, bis sein Wille, er, kollabiert, ist m.E. von Heino Ferch atemberaubend genau, beeindruckend dargestellt. Fantastisch auch das schnelle Auseinanderdriften von Katharinas hilflos eskalierender Wut und Hans´ Gegenbewegung in die Implosion.

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